Sonntagsfrage: Ist Franz Kafka ein Staubsauger?

(Ist James Joyce ein Stabmixer, Marcel Proust ein Toaster, Max Frisch ein Schweizer Taschenmesser oder Pawel Salzmann eine Waschmaschine russischer Bauart?)

Ich saß letzte Reihe, die Frage wurde in der ersten gestellt: braucht es noch ein Buch zu Kafka? Jedem, der noch alle Sinne beieinander hat, drängt sich dabei die Frage auf, ob Kafka ein Haushaltsgerät ist und war, wobei mit Kafka verkürzt Kafkas Werke gemeint sind. In dem Moment, in dieser Runde, versagte mir die Stimme. Es ist schwer, von der letzten Reihe aus, berechtigte Fragen wohlfeil zu stellen. Doch der Gedanke beschäftigte mich weiter…

Kafka

Ich habe einen Staubsauger. Gekauft habe ich ihn im Elektrodiscounter. Das war vor 10 Jahren oder so. Ich brachte ihn nach Hause. Ich machte den Karton auf, sortierte die Bauteile, las die Bedienungsanleitung. Sie war verständlich.  Den Sauger schloss ich an die Steckdose an. Er saugte. Das tut er heute noch. Selbst das Auswechseln des Beutels war nie ein Problem. Ich könnte keinen Staubsauger bauen, aber ich kann ihn zusammensetzen und bedienen. Wie das geht, steht in der Bedienungsanleitung. Ich gebe zu, oft steht der Staubsauger nur in der Ecke, obwohl es wieder Zeit wäre. Doch auch wenn ich ihn erst wieder nach Wochen hervorhole, weiß ich gleich, was zu tun ist. Ich muss dann nicht einmal mehr in die Bedienungsanleitung schauen.

Ich habe einen Kafka. Gekauft habe ich ihn in einem Buchladen. Das war vor 30 Jahren oder so. Ich brachte ihn nach Hause. Er war in keinem Karton. Er musste nicht zusammengesetzt werden. Er hatte keine Bedienungsanleitung. Doch ich las. Das tue ich heute noch. Ich gebe zu, er stand oft für Wochen und Monate im Regal. Und wusste doch selten, warum es wieder an der Zeit gewesen ist, ihn doch einmal wieder hervorzuholen und ihn zu lesen.

Es gibt Ecken, da ist schwer zu saugen. Es gibt Aufsätze, die sind genau dafür gemacht. Wie anzubringen, stand in der Bedienungsanleitung. Dann ist wieder sauber in diesen Ecken. Oder auch in diesem Spalt der Couchgarnitur. Da ist so ein schmaler Aufsatz sehr praktisch. Krümel, Staubflusen, eben Schmutz, weg.

Kafka les ich einfach so. Buch auf, diese oder jene Erzählung, Buch zu. Ich musste nie irgendwelche Ecken berücksichtigen. Ich könnte, aber ich muss es nicht. Ich könnte für eine bestimmte Ecke Kafka auf bestimmte Weise lesen, aber ohne Bedienungsanleitung und Zubehör, da les ich ihn einfach so. Ist das falsch? Bleibt in einem Spalt, an den ich nicht denke, zwangsläufig etwas zurück? Es gibt für einen Kafka -vielleicht- viel mehr Ecken und Stellen, an die schwer hinzukommen ist, als dass man jemals, so viele Aufsätze es auch noch werden, damit an ein Ende kommen könnte. Es mag für Momente reichen.

Dann stellt man den Kafka zurück, den Staubsauger in die Abstellkammer, und wendet sich anderen Dingen zu, liest mal wieder Proust oder macht sich einen Toast Hawaii.

Um es zu sagen: Kafka ist kein Staubsauger. Literatur ist überhaupt kein Haushaltsgerät. Sie hat keine Bedienungsanleitung und sollte nicht so behandelt werden, als hätte sie eine. Literatur kümmert sich nicht um die eine Sache, als wäre es das rituelle Samstag-Vormittag-Saubermachen, bevor der Besuch kommt.

Es ist nie genug mit Kafka, Literatur oder Kunst im Allgemeinen – und irgendwie die Wohnung oder das Leben im Allgemeinen endgültig aufgeräumt.

Warum dann aber lesen und darüber vergessen, wie staubig es um einen herum langsam wird?