Ragnar Helgi Olaffson: Handbuch des Erinnerns und Vergessens

Ich schwelge. Das tue ich selten und nie mit ganz leichtem Herzen. Man läuft Gefahr, zu viel zu sehen / zu meinen an (Deutungs-)Möglichkeiten und das bei vielleicht nicht ausreichendem Talent.

Wer weiß denn schon, was gut, was schlecht, was besser und was schlechter, wenn er nicht vorher schon alles weiß und sich noch daran erinnern kann. Hier ein Buch für Philosophen, die gerne welche sein möchten und das ernst meinen, also nichts zu wissen und zuletzt auch nicht mehr. Aber wo der Philosoph nicht weiterkommt, da kann der Poet helfen, wenigstens also, die Form zu (be)wahren.

Ich muss mich sehr zurückhalten, um nicht überbordend zu werden, es nicht unnötig zu beschweren. Es ist, bei aller Philosophie, so leicht. Ich will nicht den Fehler machen, es mit irgendwelchen Wortbestimmungen und -erklärungen auf den Boden herunterzuholen.

Man muss es laufen lassen. Kein Buch für Seßhafte, keines für Dozenten. Keines unbedingt für Spiegelleser. Dies Buch gehört den Mutigen, nicht den allzu Schlauen, die jedes Gedanken-Spiel kaputtmachen. Der kürzeste Weg ist nicht immer der Weg der Erkenntnis.

Ich kann hier nur Andeutungen machen. Ich bin mit dem Buch noch lange nicht fertig. Ragnar Helgi Olaffsons letztes beim Elif-Verlag erschienene Buch Denen zum Trost, die sich in Ihrer Gegenwart nicht finden können hat mich verzaubert, dieses befeuert mich. So muss ich vorsichtig sein, dass ich nicht über’s Ziel hinausschieße. Manche Wege der Überzeugung enden an Mauern und man muss umkehren. Gelesen wie im Rausch, will ich mir Zeit nehmen, es zu verstehen. Es wäre ein Mißverständnis, anzunehmen, das Verstehen geht mit dem Lesen einher. Und klappt man das Buch letztlich zu, wäre alles gesagt. Wahrlich, nicht. Bei der nächsten Lektüre setze ich die Post-Its an anderer Stelle, beim nächsten Mal werde ich mich korrigieren müssen. Beim nächsten Mal führt der Weg woanders hin.

Hinzu kommt, es braucht nie lange und wie wenig weiß man dann noch. Das Gedächtnis hat ein ganz anderes Buch gelesen, seine Erläuterungen sind lückenhaft. Die Erinnerung nimmt es mit der Wahrheit nie sehr genau. Sie ist ein wenig porös.

Nicht in den offensichtlicheren Stücken zum Erinnern und Vergessen, sondern in der Erzählung Stellungnahme des ehemaligen stellvertretenden Direktors des SLA, des staatlichen Liegenschaftamtes, das sich um die Instandhaltung staatlicher Imobilien zu kümmern hat, finde ich meinen vorläufigen Schlüssel zu diesem Buch und das Dilemma in einem Zitat so einigemaßen wiedergegeben.

Jede Immobilie, zu jeder Zeit, ist für alle Ewigkeiten eine einzige Kette des Verfalls.

Und schon während ich das hier schreibe, spüre ich es, kann so schnell nicht nachbessern, wie ich feststellen muss, Unsinn zu schreiben, weswegen ich besser abschließend nur noch raten möchte: Dieses Buch zu lesen.

(Oder wenigstens einmal dem Vortrag von Wolfgang Schiffer zu lauschen, der dieses Buch zusammen mit Thor Gislason so kongenial übersetzt hat – hier)

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Ragnar Helgi Olaffson, Handbuch des Erinnerns und Vergessens (erschienen in der dt. Übersetzung beim Elif-Verlag)

 

 

 

XL. Alle Aventiuren alle

Warum erzähle ich das eigentlich? Das will doch keiner wissen. dafür hat doch keiner Interesse. Ich bin wahrscheinlich einfach ein Plappermaul.

Jedenfalls es war vor Kurzem ein Morgen, da war nichts los. Da war alles grau wie von einer Staubschicht, aber eben von unten. Die Fenster auf und frische Luft hinein, das brachte nichst. Die frische Luft war wie die vom Vortag oder der Woche davor oder wie nur dem Namen nach, aber eigentlich ein Billigprodukt.

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Also jedenfalls war alles irgendwie wie schon immer da. Wie einfach nur schlecht Frischgehalten, mit so einem komischen Beigeschmack. Und man macht’s und akzeptiert’s nur, weil das eine Gewohnheit ist, das Machen und Akzeptieren.

Wer gar kein Gewohnheitstier ist, das ist unser Tischer, der brachte es auf den Punkt, in einem Satz, wie eine Weisheit oder ein Kommentar zum Weltenstand: Alle Aventiuren alle. Sagte es und blies dann wieder Trübsal, die Tonleiter rauf und runter.

Die Welt war noch da, aber sie war so seltsam fad, als hätte irgendein Gemeiner des Lebens Salzstreuer mutwillig irgendwohin versteckt, dass keiner weiß wo. Von einem Moment auf den anderen schienen alle Aventiuren weg, verschwunden, aus dem Regal geräumt.

Da war ein Suchen, unter Tisch und Bett, draußen hinter den Sträuchern und zwischen den Bäumen, im Umkreis von zwei Straßen weiter nicht ein Abenteuer, kein Zauber, keine Spannung, nichts, was als Wagnis in Frage käme.

Sicherlich, es waren Aufgaben da, Pflichten, z.B. Tischers Hose waschen, Teller und Tassen spülen, solche Dinge. Gleichermaßen gab es draußen eine Welt zu reparieren, das zwar schon,. Und war auch wichtig. Schmutzige Hosen, Teller und Tassen sind sehr unschön und eine kaputte Welt höchst unpraktisch. Allerdings wer mag nur Aufgaben und Pflichten haben?

Das Grundübel so vieler Aufgaben sind doch ihre Routinen und ständigen Wiederholungen. Andauernd Hosen waschen, das macht doch keiner gerne. Und es schränkt auch ein. Am Ende wäscht man nur noch Hosen, hat keine Zeit mehr für Anderes bzw. ist völlig erschöpft vom Hosenwaschen. Mit der Welt im Ganzen ist es ganz ähnlich, vielleicht nur um ein Weniges komplexer. Muss getan werden, regelmäßig und mit Ernst, aber genau deshalb tut man sich so schwer damit. Hinzu kommt, dass man ja auch noch Hosen waschen muss. Oder man muss sich welche kaufen. Von der Zeit, die für Teller und Tassen draufgeht, mal ganz abgesehen.

Aufgaben erschöpfen einen so sehr, dass oft genug nur noch Energie bleibt, sie mit halbem Herzen zu tun. Und sie erlauben keine Schummeleien. Eine nur halb gewaschene Hose ist beim nächsten Mal nur noch zu einem Viertel sauber. Wer so weitermacht, hat bald nichts mehr anzuziehen.

Bei der Menge an Aufgaben, es geht ja nicht nur um Hose, Teller, Tassen und Welt, da weiß man gar nicht mehr, wie man das alles schaffen soll, mit so einem halben, Viertel- oder Achtelherzen. Da geht einem sehr schnell die Puste aus.

Unser Tischer aber, der kann nur mit ganzem Herzen die Dinge tun, die zu tun sind. Das können nicht nur einfach Aufgaben sein. Aventiuren sind’s, die verlangen ein ganzes Herz, mit Halbheiten gibt sich so eine Aventiure nicht ab. Tischer also, mit seinem ganzen wildpochenden Herzen fand kein Äquivalent zu seiner Leidenschaft. Und Hosenwaschen wollte er nicht.

Alle Aventiuren alle ist wie Alles irgendwie egal. Und Tischer wurde melancholisch. Wenn das andauert, werden wir’s auch. Traurig dazu. Wir verstehen Tischer sehr gut, können ihm aber momentan nicht helfen. Ich kann ihn nicht zu den Aventiuren tragen, wo sie auch seien, wie ich früher zu tun die Ehre hatte. Doch mit jedem Tag ziehen sie sich weiter zurück. Wir haben einen Tischer, der verzehrt sich nach Aventiuren. Wir aber, wir haben unsere Aufgaben. Und keine Zeit.

Es ist doch aber so, dass nur Geschichten, also Aventiuren erzählt werden können. Alles andere aber getan werden muss, was so schwerfällt, weil eben Geschichten das Salz in der Suppe sind, nicht aber Hosenwaschen und Weltretten.

Das hatte ich befürchtet, dass, wenn man melancholisch wird, man zu philosophieren anfängt. Das ist dann aller Aventiuren Ende. Hosen werden davon auch nicht sauber.

Kurzum: es braucht wieder Aventiuren für Tischer, für uns. Es wird sonst zu grau. Mein Vorschlag also, Hosenwaschen und Weltretten als Aventiure betrachten und dann davon erzählen.

(Dies leicht wirr Dahingeschriebene meint im Grunde nur oder eigentlich auch, dass mir das Schreiben fehlte und ich es wieder als Aufgabe sehen will, bis dabei Aventiuren herauskommen. Ist’s soweit verständlich?)

 

 

XXXIX. Was bleibt. Nebst Ewigkeit.

Es hatte schon einen Moment gebraucht. Soll ich’s überhaupt mitteilen? Ist die Zeit reif? Täusche ich mich vielleicht und es ist gar nicht das, für das ich es halte? Ist’s Kunst? Meine Qualität als Kunstkenner ist die, dass ich einmal in Paris in Rodins Garten ein Wurstbrot gegessen habe. Ich bin wohl eher Wurstkenner. Aber das ist dann auch nicht weit weg. Trotzdem möchte ich es Anderen überlassen. Ich habe lediglich eine Ahnung, es könnte was werden, dem Ganzen eine neue Richtung geben. Neue Impulse setzen. Aber was rede ich? Ich kenne mich in der Kunstszene nicht aus. Ich weiß nicht mal ein Proseccoglas richtig zu halten. Hat sich also mit Impulsen. Wohin? Woher? Beurteilt selbst!

Der Künstler ist Autodidakt, kommt von der Literatur, hatte mit Plastiken bislang wenig am Hut. Er liest. Und wenn er nicht liest, liest er von vorne. Er ist noch nicht in Erscheinung getreten. Wenn wir abends schlafen, das ist sein Talent, liest er in stockdunkler Nacht. Er muss gute Augen haben. Er hat zudem ein großes Herz. Für bildende Kunst keine Talente. Man muss bescheiden sein. Man kann nicht alles haben, nicht alles können. Kunst, sagt man, kommt von Können. Und manchmal, wenn’s ernst wird, es drängt, ist’s zunächst ein Müssen und dann -hoffentlich- ein Können. Und dann kann Kunst daraus werden. Einfach so. Aus einer kleinen Not heraus. Ein existentieller Druck, mehr nicht. Das macht den Künstler. Plus ein wenig göttlicher Funke. Plus eine ungefähre Idee und Aussage. Dann ab in die Galerie.

Die Galerie ist noch zu finden. Das Werk allerdings ist schon vollbracht. Wir waren bei der Entstehung nicht dabei. Normalerweise ist man neugierig, will den Meister bei der Arbeit sehen, wie er das macht. Hier? Lieber nicht. Wir haben Theorien. Eine. Sensible Backen. Modellierende Backen. Feingefühl, wo man sonst höchstens Hämorrhoiden vermutet. Er muss beim Lesen die Zeit vergessen haben. Es hatte sich einiges angesammelt. Wenn man konzentriert ist, kann sowas schon passieren. Die Konzentration fand einen Ausgang. Das Ergebnis schön anzusehen. Dem Künstler -zufälligerweise- war’s nur kurz peinlich. Tatsächlich fand er schnell Gefallen daran, übte sich, perfektionierte seine Technik. Muss wohl so sein, wie waren nie dabei. Nur die Geräusche bisweilen, wie wenn einer versucht, Nüsse zu knacken mit bloßen Händen. Ein Schnaufen. Ein gepresstes Fluchen vielleicht. Kunst ist nie leicht.

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Und nun stehen so einige Exponate bei uns in Regalen, auf Tischen, unter dem Bett. Der Fußboden ist voll davon. Was ein Reichtum, wenn das mal einer kauft. Und wir wieder atmen können. Die expressive Phase des Künstlers -Marcel- ist längst nicht vorbei. Er denkt schon weiter. Will Großes -wortwörtlich- schaffen. Doch wo soll’s herkommen aus so einem kleinen Lamm? Für solch monumentale Kunst hat er nicht den Darm dazu. Was er da verdauen müsste. Große Kunst verdaut eine Menge.

So oder so, eine Vernissage ist in Planung. Es wird sicherlich Schnittchen geben, allerdings keinen Prosecco. Es wird ein Streichquartett spielen, irgendwas von Brahms, vermute ich. Es wird Marcel die Werke erläutern. Presse wird anwesend sein. Tischer wird sich benehmen und nicht mit Exponaten schmeißen. Am Ende ist vorgesehen, dass der taxierte Preis angenommen wird. Aber jeder immer nur eins. Eine Bitte: den Exponaten nicht zu nahe oder gar drauf zu treten. Sie sind nicht direkt zerbrechlich, aber könnten aus der Form gebracht werden

Und eine Empfehlung für Zuhause dann: die Exponate wirken am besten bei geöffnetem Fenster.

XXXVII….und führe den Tischer nicht in Versuchung.

War’s abzusehen? Was haben wir falsch gemacht? Wir haben an irgendeiner Stelle nicht aufgepasst und wissen nicht, ob’s jetzt noch abzuwenden ist. Unser Eingriff in die Natur, in ein funktionierendes Ökosystem. Und wenn einmal die Natur nicht mehr Natur ist, wird’s sie es in der Regel auch nicht mehr. Was aber war passiert? Ich will Madame nicht die ganze Schuld geben, aber das corpus delicti war aus ihrer Hand. Wie kann man dergleichen unbeaufsichtigt und offen herumliegen lassen? Wie kann man nahebei dasselbe mit Tischer tun? Allerdings zur Verteidigung: normalerweise war die Beziehung von Tischer zu irgendeiner Form von Text wie irgendeine Wichtigkeit zu irgendeinem Sack Reis. Es gab keine Kausalität. Da gab es kein Geschehen. Das bedeutete nichts. Da würde hier nichts stehen. Keine Geschichte.

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Doch eine irgendwie geartete kosmische Veränderung, eine Raum-Zeit-Verzerrung, ein allgemeiner Schwindel, ein Wasauchimmer, das keiner erklären könnte, selbst wenn er Diplom hätte in einer Naturwissenschaft, und Tischer, unser Tischer, also der Tischer, der reflexartig aus Überzeugung stets meinte, dass Texte etwas für Luschen wären, entwickelt literarische Ambitionen, indem er anfängt, in einem Fürsten-Roman zu blättern.

Wir, die wir verloren sind, wissen, wohin das führen kann, wenn man nur einmal solch einen Fürsten-Roman liest. Ein unschuldiges Vergnügen, eine Sonntagnachmittags-Schwäche, eine für die Wanne oder den Korb am Strand, knappe 65 Seiten, nichts hatten wir uns gedacht, und dann war’s das nicht mehr, war’s der Verlust des Paradies‘, wurden es mehr und mehr Seiten, wurden es Klassiker, wurde es Juli Zeh, wurde es Buchpreisträgerliteratur – und plötzlich waren wir Blogger und Füjetonisten, füllten Zeilen und Zeilen mit Seiten von Seiten UND waren keine Tischer mehr, alle unsere Streifen los.

Tischer ist der letzte seiner Art, der Prototyp, das Nonplusultra, Maß aller Dinge, der, der durch seine Existenz den Laden zusammenhält, das übriggebliebene Ur-Ur-Wilde, das diese Welt so verdammt nötig hat. Eigentlich müsste man Tischer in eine Arche setzen, vor der Flut an Zivilisation und Kultur nur weit genug wegbringen -lass die nur machen- und wenn später die Welt es richtig machen will nach dem mißglückten ersten Versuch, würde Tischer wiederkommen können.

Ich weiß sehr wohl, mit Worten ist Tischers Ur-Wildheit nicht zu fassen, schon gar nicht zu erklären, aber bitte, ich drücke nur meine Angst aus, dass Fürstenromane der Anfang vom Ende sind, dass am Ende noch Tischer nach Leipzig mitmöchte, nicht um gesundes Chaos zu stiften, sondern gepflegt über Neuheiten sich zu informieren oder bei Sektempfängen vielleicht die Gelegenheit zu ergreifen, Juli Zeh für ihr letztes Buch zu loben (oder auch in höflicher Art doch überzeugend zu kritisieren, je nachdem). Tischer also im ausgesuchten Gespräch mit Juli und nicht ihr ein Schälchen mit Milchreis (der vom Vorjahr übrig geblieben ist) über den Kopf ausleerend, und nicht mehr auf Jagd nach Aventiuren, sondern nach Leseexemplaren. Ich will mir das gar nicht weiter ausmalen……irgendwie muss es abzuwenden sein. Irgendwie muss das notwendige Gleichgewicht wieder hergestellt werden.

….einer muss Tischer den Fürstenroman entwenden.

…einer muss dieses eine Mal Streifen genug haben, das zu tun.

…oder nichts zu verlieren.

…wir lassen Streichhölzer zieh’n…

…schluck….oh…..es hat mich getroffen….ich werde euch vermissen….aber vergesst niemals, ich habe es für euch getan…..

….und sagt Juli, das geht wieder raus….

XXXVI. Milchreis mit Vorsatz

Zeit war knapp, das letzte Jahr war kürzer als das vorletzte. Die Prioritäten waren so viele, dass es nur so wimmelte. Und so in der Menge, in der sie waren, waren sie wehrhaft gegen die eigentlich Maßgebliche, die mit den Streifen. Wie ungesund ist es gewesen, sich allzu sehr gegen die höchste Priorität zu wehren, den anderen den Vorzug zu geben. Wenn man sich dem, was das Wichtigste sein sollte, nicht wenigstens in großen Teilen immer hingibt, so hat man sehr bald Rheuma, die Finger werden steif und Tage sind nur Tage und man erzählt nichts, was nur noch abgehakt wird.

Und ich Dummerle habe mich gewehrt. Ich konnte mich wehren. Konnte mich sogar gegen Tischer wehren. Lange Zeit, bald ein Jahr. Bevor nun jemand meint, das sei eine Heldentat, dem sei gesagt: ich bin gar nicht stolz darauf. Sicherlich, man könnte meinen Trotz bewundern, fast zwölf Monate widerstanden zu haben. Solche Menschen bewundern auch Zimmerpflanzen, die der Gieskanne trotzen und lieber vertrocknen, oder das Kleinkind, das seinen Rosenkohl nicht essen möchte und lieber Finanzbeamter werden möchte. (OK, da ist in der Kausalkette Kleinkind-Rosenkohl-Finanzbeamter ein logisches Loch, aber der Sinn wird hoffentlich jedem klar sein, wenigstens aber dem, der es mir gerne mitteilen möchte, denn ich komme von allein nicht drauf).

Will wieder von Tischer berichten, von seinen Aventiuren. Will es nicht tun, weil er mir mit einer vorgehaltenen Schüssel Milchreis gedroht hat, diese über meinem Kopf auszuleeren. Tatsächlich tat er das und der Milchreis war in keinem guten Zustand mehr, als ich endlich zur Besinnung kam und Tischer nachgab: mein Vorsatz für’s neue Jahr soll sein, wieder von Tischer zu erzählen.

Ist’s so, dass es Tischer gibt, weil ich von ihm erzähle? Oder andersherum? Wahrscheinlich von beidem etwas, nehme ich an. Deshalb gab es auch den Milchreis, der über Monate vor sich hingammelte bei etwas mehr als Zimmertemperatur – und war nicht mehr süß und lecker. Und nicht gut für’s Haar. Die Schüssel war voll. Tischers Arm zitterte leicht von dem Gewicht der Schüssel. Außerdem hat Geduld wenigstens eine Grenze, die kam bedenklich nahe. Ich wollte es nicht darauf ankommen lassen.

‚ Also gut, mein Gestreifter, du hast gewonnen. Wie auch nicht? Ich will wieder von dir erzählen. Du kannst die Schüssel runternehmen.‘

Einen kurzen Moment überlegte Tischer. Ich mit einer großen Schüssel von vergammeltem Milchreis auf dem Kopf und in den Ohren, war verlockend und fast schon Aventiure. Was hielt ihn ab? Er tat es jedenfalls nicht, stellte aber die Schüssel in Reichweite ab. Ich soll nicht denken, er käme auf das Angebot nicht irgendwann zurück.

Und so nahm Tischer Ausschau nach Aventiuren für das neue Jahr, gut getarnt hinter der Zimmerpflanze, denn Aventiuren sind vorsichtig geworden, seit es Tischer gibt.

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Und ich will es gestehen: ich bin glücklicher, seit es Tischer gibt.

Nur die Schüssel mit dem Milchreis, die über meinem Kopfe droht, trübt’s ein wenig.

Also: auf ein Neues.