Es ist das Vorrecht der Poesie, die Auslegung dessen, was sie sagen will, Klügeren zu überlassen. Sie sagt, was ist. Das ist schwierig genug. Sie schreibt nicht davon, was es bedeutet. Noch gibt sie Anweisungen für ein „gutes Leben“. Sie ist, muss es sein, in dieser Hinsicht wenig dazu geeignet, praktisch zu sein. Sie ist nutzlos.
Sie mahnt nicht und hebt nicht den Finger. Sie schreibt keine Paragraphen. Keine Parolen. Sie fordert nichts. Nicht einmal, gelesen zu werden (was, in Anbetracht der Tatsache, wie wenig Poesie gelesen wird, wohl nur zu gerne angenommen wird).
Sie ist im besten Sinne des Wortes unpolitisch. Das würde ihr nicht bekommen. Ebenso wäre es für die Poesie fatal, religiös oder moralisch zu sein. Poesie ist nicht die Dienstmagd irgendwelcher Ideologien, noch bezahlte Lobbyistin. Sie trägt keinerlei Parteiabzeichen.
Sie ist frei. Und was hätte einer davon, sie durch Auslegung in Ketten zu legen? Sie sagt uns nichts Neues. Sie sagt es nur Immer wieder, dass wir es auch einmal nicht vergessen werden.
Sehr bin ich durch die Poesie der Isländerin Linda Vilhjalmsdottirs in ihrem Buch „Freiheit“ angestimmt, über menschliche Befindlichkeit nachzudenken; dieses Buch, diese knappen, verdichteten Zeilen, nehmen einen leicht bei der Hand und führen einen direkt ins dunkle Herz, die menschliche Freiheit.
Und von dieser Freiheit könnte ich nun reden, von Verantwortung und Macht, von Verführung, von den vielfältigen Annehmlichkeiten bzw. Gefahren durch den Menschen für den Menschen und darüber hinaus, über die Politik und Religion dabei, über Ideologie und Materialismus, von all dem, was zwischen der „Geburtskirche“ der Freiheit, dem Hier und Heute und dem Himmelsreich, diesseits oder jenseits, steht.
Und fange doch kleiner bei mir selbst an und nehme es mir zu Herzen. Ich bin so altmodisch.
Linda Vilhjalmsdottir „Freiheit“, (aus dem Isländischen kongenial übersetzt von Jón Thor Gíslason und Wolfgang Schiffer), erschienen beim Elif Verlag