Freiheit-en

Es ist das Vorrecht der Poesie, die Auslegung dessen, was sie sagen will, Klügeren zu überlassen. Sie sagt, was ist. Das ist schwierig genug. Sie schreibt nicht davon, was es bedeutet. Noch gibt sie Anweisungen für ein „gutes Leben“. Sie ist, muss es sein, in dieser Hinsicht wenig dazu geeignet, praktisch zu sein. Sie ist nutzlos.

Sie mahnt nicht und hebt nicht den Finger. Sie schreibt keine Paragraphen. Keine Parolen. Sie fordert nichts. Nicht einmal, gelesen zu werden (was, in Anbetracht der Tatsache, wie wenig Poesie gelesen wird, wohl nur zu gerne angenommen wird).

Sie ist im besten Sinne des Wortes unpolitisch. Das würde ihr nicht bekommen. Ebenso wäre es für die Poesie fatal, religiös oder moralisch zu sein. Poesie ist nicht die Dienstmagd irgendwelcher Ideologien, noch bezahlte Lobbyistin. Sie trägt keinerlei Parteiabzeichen.

Sie ist frei. Und was hätte einer davon, sie durch Auslegung in Ketten zu legen? Sie sagt uns nichts Neues. Sie sagt es nur Immer wieder, dass wir es auch einmal nicht vergessen werden.

freiheit

Sehr bin ich durch die Poesie der Isländerin Linda Vilhjalmsdottirs in ihrem Buch „Freiheit“ angestimmt, über menschliche Befindlichkeit nachzudenken; dieses Buch, diese knappen, verdichteten Zeilen, nehmen einen leicht bei der Hand und führen einen direkt ins dunkle Herz, die menschliche Freiheit.

Und von dieser Freiheit könnte ich nun reden, von Verantwortung und Macht, von Verführung, von den vielfältigen Annehmlichkeiten bzw. Gefahren durch den Menschen für den Menschen und darüber hinaus, über die Politik und Religion dabei, über Ideologie und Materialismus, von all dem, was zwischen der „Geburtskirche“ der Freiheit, dem Hier und Heute und dem Himmelsreich, diesseits oder jenseits, steht.

Und fange doch kleiner bei mir selbst an und nehme es mir zu Herzen. Ich bin so altmodisch.

Linda Vilhjalmsdottir „Freiheit“, (aus dem Isländischen kongenial übersetzt von Jón Thor Gíslason und Wolfgang Schiffer), erschienen beim Elif Verlag

 

XXXVI. Milchreis mit Vorsatz

Zeit war knapp, das letzte Jahr war kürzer als das vorletzte. Die Prioritäten waren so viele, dass es nur so wimmelte. Und so in der Menge, in der sie waren, waren sie wehrhaft gegen die eigentlich Maßgebliche, die mit den Streifen. Wie ungesund ist es gewesen, sich allzu sehr gegen die höchste Priorität zu wehren, den anderen den Vorzug zu geben. Wenn man sich dem, was das Wichtigste sein sollte, nicht wenigstens in großen Teilen immer hingibt, so hat man sehr bald Rheuma, die Finger werden steif und Tage sind nur Tage und man erzählt nichts, was nur noch abgehakt wird.

Und ich Dummerle habe mich gewehrt. Ich konnte mich wehren. Konnte mich sogar gegen Tischer wehren. Lange Zeit, bald ein Jahr. Bevor nun jemand meint, das sei eine Heldentat, dem sei gesagt: ich bin gar nicht stolz darauf. Sicherlich, man könnte meinen Trotz bewundern, fast zwölf Monate widerstanden zu haben. Solche Menschen bewundern auch Zimmerpflanzen, die der Gieskanne trotzen und lieber vertrocknen, oder das Kleinkind, das seinen Rosenkohl nicht essen möchte und lieber Finanzbeamter werden möchte. (OK, da ist in der Kausalkette Kleinkind-Rosenkohl-Finanzbeamter ein logisches Loch, aber der Sinn wird hoffentlich jedem klar sein, wenigstens aber dem, der es mir gerne mitteilen möchte, denn ich komme von allein nicht drauf).

Will wieder von Tischer berichten, von seinen Aventiuren. Will es nicht tun, weil er mir mit einer vorgehaltenen Schüssel Milchreis gedroht hat, diese über meinem Kopf auszuleeren. Tatsächlich tat er das und der Milchreis war in keinem guten Zustand mehr, als ich endlich zur Besinnung kam und Tischer nachgab: mein Vorsatz für’s neue Jahr soll sein, wieder von Tischer zu erzählen.

Ist’s so, dass es Tischer gibt, weil ich von ihm erzähle? Oder andersherum? Wahrscheinlich von beidem etwas, nehme ich an. Deshalb gab es auch den Milchreis, der über Monate vor sich hingammelte bei etwas mehr als Zimmertemperatur – und war nicht mehr süß und lecker. Und nicht gut für’s Haar. Die Schüssel war voll. Tischers Arm zitterte leicht von dem Gewicht der Schüssel. Außerdem hat Geduld wenigstens eine Grenze, die kam bedenklich nahe. Ich wollte es nicht darauf ankommen lassen.

‚ Also gut, mein Gestreifter, du hast gewonnen. Wie auch nicht? Ich will wieder von dir erzählen. Du kannst die Schüssel runternehmen.‘

Einen kurzen Moment überlegte Tischer. Ich mit einer großen Schüssel von vergammeltem Milchreis auf dem Kopf und in den Ohren, war verlockend und fast schon Aventiure. Was hielt ihn ab? Er tat es jedenfalls nicht, stellte aber die Schüssel in Reichweite ab. Ich soll nicht denken, er käme auf das Angebot nicht irgendwann zurück.

Und so nahm Tischer Ausschau nach Aventiuren für das neue Jahr, gut getarnt hinter der Zimmerpflanze, denn Aventiuren sind vorsichtig geworden, seit es Tischer gibt.

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Und ich will es gestehen: ich bin glücklicher, seit es Tischer gibt.

Nur die Schüssel mit dem Milchreis, die über meinem Kopfe droht, trübt’s ein wenig.

Also: auf ein Neues.