Cinema – eine Lyrikanthologie (Elif Verlag)

Die Box mit Filmen von Kusturica, die siebte Staffel Mad Men. Matrix, alle drei Teile in abfallender Folge. Mehr ist gerade Film, mehr Episoden von 50 Minuten Länge. Leichter momentan, dieser Leidenschaft nachzukommen.

Dazu jetzt diese Anthologie zur schönsten Nebensache der Welt, kenn ich, erkenn ich, Filmzitate, nein, erwarte keine Wahrheit, überlasse mich ganz der Magie. Darf ich’s in einem eigenen Gedicht sagen, ich bitte nicht um Aufnahme, aber um Milde:

Rot oder blau?
Ich entscheide mich
Schlucke ich,
Bitter ist die Pille nicht
Und bleibe. Staunend. Mit nicht wenig ungutem Gefühl.

Weil ich doch die Technik dabei nicht verstehe.

Bei viel Sympathie. Gedichte wie diese sind wie Menschen in der Menge – hier in einem Kino-Foyer. Die einem kurz auffallen, ein Gesicht, eine Geste, ein Wort, und man spinnt Gedanken. Dann verliert es sich vermeintlich wieder. Kann sein, man begegnet sich nochmal. Da war was. Irgendwas. Man erinnert sich. Kommt nicht drauf.

Gleichzeitig empfinde ich Gedichte immer schon als Beunruhigung. Ein wenig auch als Ärgernis, als Störung. Mit einem wird man leichter fertig. Gedichtbände sind da geradezu eine Zumutung. (Wär‘ ich Heidegger, könnte ich erklären, was hier Zu-Mutung bedeuten soll.)

Dennoch ist da Faszination. Kein Wort davon, dass es glatt aufgehen muss. Wahrscheinlich bin ich zu feige für mehr als ein Gedicht. Was für Fähigkeiten muss derjenige haben, der es mit mehreren aufnimmt. Ich liebe Gedichte, ja, das tue ich, aber eher so, wie ein Kaninchen eine Schlange lieben kann. Ich bin für Gedichte schlichtweg zu feige. Mit einem Gedicht werde ich fertig.

Allerdings Gedichte über diese meine Leidenschaft, das macht mich mutiger, zutraulicher – und macht’s wahrscheinlich deshalb verhängnisvoller für mich. Schon habe ich das ganze Buch gelesen. Und mindestens zwei Folgen meiner aktuellen Lieblingsserie dabei verpasst.

Aber ich lebe noch. Ich habe bislang alle Lyrikbände der letzten Zeit überlebt. Sie kamen fast ausnahmslos aus dem Elif-Verlag. Das stählt für kommende Poesie. Das muss bereits Poesie sein. Verlockt von so viel Wagemut, befördere ich mich hinaus aus dem Kreis derer, die wirklich von Poesie etwas verstehen und in diesem Buch zu finden sind, mit einem weiteren Gedicht, ahnend, dass ich mich gleichzeitig auch als vermeintlicher Filmkenner disqualifiziere:

Mit einem Gedicht über Steven Seagal
endet Poesie
hier.
(Und kommt auch nicht wieder)

Cinema, eine Lyrikanthologie (erschienen beim Elif-Verlag)

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Ohne Anfang keine Geschichte, alles bleibt Traum

Hätte Donnerstag sein müssen. Hätte schönes Wetter sein müssen. Hätte hier beginnen müssen. Hätte Colin Firth sein sollen.

Ist Colin Firth. Sonst stimmt gar nichts. Der ganze Beitrag ist ein anderer geworden. Was hier steht habe ich nicht geschrieben. Colin Firth, das ist mein Verdienst. War schwer genug. War Überzeugungsarbeit. Ein wenig stolz bin ich schon gewesen: er, in einem meiner Beiträge, in der Fortsetzung zum „Lektor“. Aber jetzt? Das Werk ein Werk des Lektors. Und ich kann Colin Firth nicht helfen, nicht durch die Geschichte führen. Ich kenne mich selbst darin nicht aus. Was ist das für ein Straße? Die Häuser habe ich nie so beschrieben. Sind aus keiner Erinnerung, die meine wäre.

Colin steht da, „Hello, can you help me?“. Nein Colin, kann ich nicht. Ich kann Dich zwar lesen, aber schreiben für Dich kann ich nicht. Er hat mir den kompletten Plot aus der Hand genommen. „What did you say?“. Aus der Hand, Colin, es liegt nicht mehr an mir. Ach er kann mich ja nicht hören. Steht da, wo auch immer, das Gesicht ist dasselbe wie immer und wartet auf eine Geschichte, die ich für ihn schreiben wollte. Er Held. Der Lektor der Lektor. Der Lektor war ganz meine Idee, zunächst. Colin kam von außerhalb dazu.

Hätte ich nie gedacht, Colin in einem meiner Beiträge. Aber ich muss schon sagen, ich habe mich entwickelt. Colin selbst oder Colins Agent, einer wird auf mich aufmerksam geworden sein. Viel Überzeugungsarbeit war nicht notwendig. Der Plot, der ursprüngliche Plot hat ihm wohl auch gefallen. Jetzt aber hat der Lektor alles übernommen. Der Himmel grau verhangen, irgendeine Straße in einer anonymen Stadt. Es liegt allein am Lektor, ob sich was tut. Solange muss Colin da bleiben, wo er ist.

„Where’s the story, where is my story?“. Er wird sie kaum herausrücken, Colin. „I can’t wait so long.“ Was soll ich denn bitteschön machen, Colin? Mir hat meine Phantasie einen Streich gespielt. Ich bin zu weit gegangen. Lektor Eins war noch kontrollierbar. Lektor Zwei ist es nicht mehr. Vielleicht hätte ich den realen Colin Firth dieser Gefahr nicht aussetzen dürfen. Vielleicht ist Colin Firth für meine Beiträge einfach eine Fehlbesetzung.

Andererseits, wer könnte dem Lektor denn Paroli bieten. Er kontrolliert ja alles, wie immer sich die Geschichte entwickeln soll. Im Moment soll sie es eben nicht. Wie er es will. Gut möglich, Colin muss noch eine ganze Weile ausharren in diesem Beitrag. Der wird sicher irgendwann vermisst. Gott, die werden mich fragen. die wissen ja, er sollte in einem meiner Beiträge auftreten. Was sage ich denn denen?

Und wenn Colin etwas passieren sollte in meinem Beitrag? Wenn der Lektor sich einfallen ließe, die Straßenlaterne da einfach so, wie soll ich dann Colins Leiche erklären? Und selbst wenn ihn keiner findet, der würde zu riechen anfangen. Der ganze Blog würde nach der Leiche Colin Firth‘ riechen.

„I’m hungry.“ Es geht schon los. Der Lektor lässt ihn verhungern. Nirgends auch, die ganze Straße runter nichts, wo er was zu essen finden könnte. Ich sehe die Schlagzeile ‚Colin Firth qualvoll in Blogbeitrag verhungert‘ bereits vor mir. Würde mir einer glauben, dass es das Werk des Lektors gewesen wäre, einer ausgedachten Figur, die sich über mich erhoben hat?

Ganz ohne Schuld wäre ich nicht. Diese ewigen Rezensionen. Ich bin für Ausgedachtes ein wenig aus der Übung. Dann auch noch so ein Brocken wie der Lektor. Ich habe mich gründlich überschätzt. Es war aber zu verführerisch, einmal mit Colin Firth zusammenarbeiten zu können. Ich bewundere ihn schon sehr lange. Für die Rolle des Helden im Lektor kam für mich nur er in Frage. Er hat diese Distinguiertheit, es sind diese kleinen Gesten, diese Mimik. Ohne Colin Firth hätte ich diesen Beitrag nicht schreiben wollen.

Und jetzt? Jetzt bin ich wahrscheinlich dafür verantwortlich, dass Colin Firth für die Filmwelt verloren ist. Ganz besonders die Frauen werden mich hassen. Ich glaube, mehr als die Hälfte meiner Follower ist weiblich. Die sind natürlich dann weg. Gut möglich aber auch, dass mein Blog zum Wallfahrtsort wird, ‚hier ruht Colin Firth‘, bei hundstrüffel, nachdem Herr Hund versuchte, für den großen britischen Schauspieler eine Geschichte zu schreiben, mit ‚Lektor 2 – jetzt wird korrigiert‚ und er ihn nicht wieder hinausbrachte, weil er die Kontrolle verlor über sein Geschöpf – den Lektor.

Colin, hörst du mich? Du kommst hier raus. Mit oder ohne Geschichte. Aber du kommst hier raus. Versprochen. Nur bin ich kurz mal auf Toilette, OK? Bin gleich wieder zurück. Dann wird uns was einfallen.

Wem will ich was einreden? Aus der Nummer komme ich nicht mehr raus. Und Colin auch nicht.

„Hello?“

„Hello?!!“

„HELLO?!!!“

„…“

(es ist eine Toilettenspülung zu hören, dann nichts mehr)

Jeremy Renners Ohrläppchen

Im November muss ich wieder jung sein. Im November unbedingt wieder das große Ganze, der Lärm, das Cinemascope. Zwei Wochen habe ich dafür. Das ist nicht viel Zeit, Zweifel und Alter auszuräumen, weg von Kleinigkeiten, hin wieder zur Großleinwand. Die Welt retten in zwei Stunden, maximal drei. Sturm und Drang und vergessen das Klein-Klein mühseliger Arbeit.

Mir fiel auf, dass mir auffielen, Details. (Das Bild eines Aleph verfolgt mich, wann hört das auf?). Ich fand die letzten Monate kaum Gelegenheit, dann aber doch. Früher war das noch ganz anders. Wenn es mir zu früh war, der Weg zu weit, Stuttgart – Tübingen, Proseminar, Vorlesung, besonders im Winter, dunkler Morgen, kaltes Zugabteil. Wenn ich also zuhause blieb -Anmerkung: war trotz allem ein fleißiger Student, ins Werk von Georg Forster hing ich mich zu sehr hinein, bis ich nicht mehr hinausfand, für eine lächerliche Hausarbeit, 10 bis 12 Seiten-, dann versteckte ich mich in Kinosälen.

10 bis 12 Uhr, 12.30-15Uhr, dann sich beeilen, ein anderes Kino, ca. 16 Uhr, vielleicht Werbung und Trailer verpasst, Film drei und, wenn das wöchentliche Programm es zuließ, noch Film vier, alle in 2 D, alle aber das große Ganze zeigend, in der Variation für Jungs, wenig Worte, oft nur Einzeiler, geringe Komplexität, nicht etwa niedriges Niveau, aber ganz gut ohne Theorie auskommend, vor allem jedoch bunt, laut und mit einem klaren Ende für dieses Mal: Bösewicht tot.

Und beschwingt nach Verlassen des Saals für eine ganze Zeit noch im sicheren Gefühl, ich könnte die Welt retten, für Majestäten oder nur für das Lächeln einer Frau, vorzugsweise letzteres, vorzugsweise Catherine Zeta-Jones, war die Welt verdientermaßen eine, die zu retten lohnt, bis ich von irgendjemand angerempelt wurde oder spätestens in vollbesetzter Straßenbahn in Richtung Hedelfingen.

Etwas in mir ist irgendwie anders mittlerweile, ist müde geworden von zu vielen Verfolgungen in PS-Boliden, auf Pferderücken, zu Wasser und in der Luft. Explosionen, sehr viel feiner ausgetüftelt, bleibe ich dabei ruhig sitzen und der Mund geschlossen. Ich stehe nicht mehr unter einem Bann beim Anblick choreographierter Kämpfe Mann gegen Mann an unmöglichsten Orten. Für die Generation 3D-Superheld bin ich ein Zupätgekommener.

Psychologie, Soziologie, Vernunft, der alltägliche Anblick menschlicher Physiognomie, seine Kenntnis und ich mehr und mehr ein Humanist, über alles lässt sich reden, man muss auf den anderen zugehen und die Welt ist nicht nur schwarz und weiß, gut und böse usw. usf., das hat mich achtgeben lassen auf Nuancen, zerfasert: ich verstehe jetzt viel besser, denke ich, und weiß, so leicht wird’s nicht mehr, Held zu sein.

Jeremy Renners Ohrläppchen aus Rogue Nation

Weil ich mich auch im Verstehen verzetteln mag, an Nebensächlichkeiten wie Ohrläppchen aufhänge, die mir wichtig erscheinen, anstatt blind dafür zu sein, weil eben nicht wesentlich und wäre ich so anstatt seiner, der da auf der Leinwand es einfach tut, würde ich wohl, so aus dem Tritt gebracht, innerhalb von zwei Stunden kaum die Mission zu Ende bringen können.

Zu viel denken macht alt und handlungsarm. Zu oft verführt es einen zur Sicherheit. Und selten noch verlässt man dann den einmal eingeschlagenen Weg. Weil es eben auch nie in zwei Stunden zu schaffen ist. Und nicht glanzvoll ist. Und nicht belohnt wird. Und nicht am Ende die Welt wenigstens einmal kurz gerettet ist.

Das Schöne an diesen Filmen war deren Eindeutigkeit. Und dass nicht so viel geredet wurde.

Ich hoffe, ich kann das noch einmal genießen, im November, im Kino, wenn er die Welt rettet, der ja selbst in fortgeschrittenem Alter ist. Es ist für ihn so einfach. ich werde mir Mühe geben, das zu schätzen und gebannt zu sein.

Am Ende jedoch, ich befürchte es fast, werde ich auch Bücher über Männer mittleren Alters lesen, um so irgendwie über den Winter zu kommen.

Haushaltsgerät

Zwischen 1:35 und 1:52, und ich würde mich nicht wundern, wenn ich deswegen nicht gleich morgen zum Elektrogroßhandel gehen würde, um mir dieselben Wohltaten zu gönnen, nicht vor Ort, dazu wäre ich zu schamhaft, nein, ich bin stubenrein, aber zuhause, da sofort, allein noch die Frage, wie ich dann meinen ein wenig voluminöseren Körper unter das Gerät bringen soll.

Und welche Stufe ist die angenehmste, bestverträgliche für Herr Hunds zarten Körper, ist er doch eher so der Bisquit-Teig-Typ? Zu kräftig darf es da nicht werden.

Mehr über eine mutmaßliche Neigung zu Autoerotik werdet ihr nicht erfahren.

Dazu bin noch zu angesagt, um zum Letzten greifen zu müssen.

Fort Franzen

Nach einem Film, spät ist es, schlafe ich über den Korrekturen ein.

Zuerst begegne ich ihm beim Minigolf in meinem eigenen Minigolfclub. Ein kleines Spiel, er & ich. Ich schummle ein wenig. Mein Gott, es ist nur Minigolf und Bahn 13 mit dem Looping hat mir schon immer Probleme bereitet. Heute fliege ich allerdings auf.

Kein weiteres Mal würde ich mich von ihm übertölpeln lassen.

Also schnalle ich ihn später auf einen Tisch und demonstriere.

„Schon mein ganzes Leben habe ich gedruckte Buchstaben geliebt, ihre Farbe, ihren Glanz, ihre gedsnkliche Schwere. Und mir war jede Unternehmung recht, meine Sammlung zu vergrößern. Die im Übrigen schon recht beträchtlich ist.“

„Ich bin beeindruckt, Textfinger.“

„Überlegen Sie sich Ihre nächste geistreiche Bemerkung genau, Mister Scheck. Es wird vielleicht ihre letzte sein.“

„Erwarten Sie von mir, dass ich sie lobend erwähne.“

„Nein, Mister Scheck, ich erwarte von Ihnen, dass Sie sterben. Es gibt nichts, was Sie in Ihrer Sendung kurz vor Mitternacht sagen könnten, das ich nicht schon wüsste.“

Irgendwie aber lasse ich mich von Denis Scheck bequatschen. Anstatt ihm von meinem vollautomatischen Leser die Hose bis zum Kragen aufschneiden zu lassen, lade ich ihn auf meine Bloghütte ein, biete ihm sogar noch ein Glas Birnensaft an und plaudere aus:

„In allem hat die Menscheit Großes geleistet. Sie hat Atome gespalten, ist auf den Mond geflogen, hat das Tetra-Pack erfunden. Überalll hat sie geniales geschaffen, nur nicht in der Kriminalität. Mein Plan: ich schneide Franzens Kopf auf und raube ihm alle seine Ideen. Wenn es zu viele sind, um sie alle abzutransportieren ich habe keinen Führerschein und muss deshalb mit dem Fahrrad kommen, bringe ich in seinem Kopf eine Stinkbombe zur Detonation. Dann stinken alle seine zukünftigen Bücher nach faulen Eiern. Und der Wert meiner Texte steigt.“

„Ich muss zugeben, der Plan ist perfekt.“

„Ja ja, er ist nicht schlecht.“

Die Stinkbombe habe ich über die Grenze schmuggeln lassen. Ich pumpe noch einmal die Reifen meines Fahrrads auf und los geht’s! Scheck ist hinten auf dem Gepäckträger festgekettet. Er ist ziemlich schwer.

Wir kommen an und warten vor der Buchhandlung. Franzen kommt heraus, sein Kopf ist unbewacht. Damit hatte ich gerechnet. Ich will mich auf ihn stürzen und ihm die Schädeldecke aufschneiden. Er will das aber nicht. Scheck auch nicht. Irgendwie hat er sich von den Ketten gelöst und greift mich an. Gegen einen Autor und einen Kritiker komme ich nicht an.

Wusste ich. Genau für solche Fälle habe ich meinen Handlanger. Ich hole ihn aus meiner Manteltasche. Er wirft seinen Hut. Der prallt bloß an Schecks Bauch ab, ohne Wirkung. In dem Gerangel kann Franzen mit seinem Kopf fliehen. Er hat die Brille noch auf. Ich falle hin, meine Knie ganz blutig. Scheck gewinnt. Auch gegen meinen Handlanger, Tischer.

Gegen Tischer?

Da wache ich auf, es ist nur ein Traum. Manche Dinge sind einfach zu unrealistisch.