Literarisches Hütchenspiel: Die himmelblauen Berge

„Also: die Zehn verliert und die Dame gewinnt. Also nochmal für die Analphabeten: die Dame gewinnt und die Zehn verliert. Die Zehn verliert und die Dame gewinnt.“ Terence Hill, Das Krokodil und sein Nilpferd

Die Dame gewinnt. Die Dame, nicht die Zehn. Die DAME. D-A-M-E-N-I-C-H-T-Z-E-H-N!!! Das ganze Leben ist ein Hütchenspiel, ein Kartentrick. Du siehst das Tischchen unter der S-Bahn-Brücke am Alex, den Mann mit den Hütchen. Irgendwo stehen seine Kompagnons Schmiere. Die siehst Du nicht. Ich mache keine Einsätze, aber wenn ich herantreten würde, wäre ich mir so sicher. Es sind doch nur drei Hütchen oder drei Karten. Und jedes Mal wäre es die Zehn. Mein Siegesgefühl. Meine Ernüchterung.

Mein Lesen. Literatur. Ich bin kein Analphabet. Ich bin geübt. Ich habe einen Blog. Ich hatte meine Sterne. Und Kommentare bisweilen.  Nein, das ist keine Krise. Ich bleibe am Ball. Bis kurz bevor die Karte aufgedeckt ist, denke ich nämlich immer, ich hätte verstanden. Was ich mir eben zurechtlege.

Lügen sind sehr viel leichter zu durchschauen als Literatur. Da bleibt ein Rest, da kommst du nicht dahinter. Lesen ist so wunderschön. Und erhebend auch. Da nimmst du teil und nimmst was mit.

Wenn du am Tisch stehst, egal wie lange, jetzt aber, hundertster Versuch, tausendster, wenn du glaubst, eine Methode zu erkennen, ein Muster, vorauszusehen – ICH BIN EIN GEÜBTER LESER (und schlauer als der Taschenspieler, sicherlich) -, bliebe es wohl noch immer die Zehn.

Was ist der Einsatz beim Lesen schon? Zeit? Regalmeter? Zu hoch ist er nicht. Zu verlieren wenig. Was kann dann dabei herauskommen?

Bin kein Analphabet. Das heutige Buch „Die himmelblauen Berge“, leicht lesbar, gleich einem Theaterstück von Beckett (ich habe Beckett nie gelesen, stelle mir lediglich vor, so müsste er sein). Die Geschäftigkeit und das Emsige, betriebsam alle, aber passieren wird nichts. Putz bröckelt, der Aufzug funktioniert nicht mehr richtig. Ein Bild, das Grönland zeigt, wird von der Wand fallen. Ein Manuskript mit zwei Titeln wird nicht gefunden werden. Und ein Autor verschwindet im Untergrund. Jemand mit mehr Talent könnte sicherlich eine ausführlichere Inhaltsangabe machen. Helfen würde es nicht.

Ich denke, und hoffe, das ist die Dame, man wird dem Buch nur gerecht, sich der Kakophonie der Stimmen zu ergeben.

It all sounds the same. Neil Young

Die Literatur ist ein Haus. Sie hat viele Bewohner. Dünne Wände. Und mittlerweile W-LAN. In dem ganzen WG-Gerede überhört man das Abbröckeln des Putzes. Die Risse in der Wand überhängt man mit Self-Made-Postern.

In den „himmelblauen Bergen“ funktionieren die Telefone noch. Die Fenster lassen sich nicht mehr öffnen.

Das Buch könnte ich empfehlen. Aber heute habe ich frei. Heute schreibe ich nur für mich selbst. Das ist keine Werbung. Wenngleich im Grunde alles Werbung ist, besonders dann, wenn ich gleich auf „Veröffentlichen“ drücke: für das Buch, meine Lesart, meinen Witz.

Nein, ernsthaft, -reiß Dich zusammen, Herr Hund-, es ist ein wirklich, wirklich gutes Buch, dem ich ernsthaftere Leser wünsche, die mehr am Text bleiben und sich nicht so viel zusammenreimen.

Himmelblauen Berge

Reso Tscheischwili, Die himmelblauen Berge (Edition Monhardt)

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