Ausgebuddelt: Neues zum Codex Hammurapi

Seit seiner Veröffentlichung im Jahre 1800 v. Chr. fand der Codex Hammurapi zahlreiche Leser und wurde bekanntlich in mehrere Sprachen übersetzt, die meisten davon ausgestorben alt, bis auf das Dänische. Dass der Codex diesen Erfolg haben würde, durften seinerzeit weder Autor noch Verlag (beide anonym) erwarten. Die limitierte Liebhaberausgabe, die mittlerweile im Louvre einen Ehrenplatz fand, sollte wohl jeder kennen.

Nun wurden im letzten Frühjahr beim Bau einer Tiefgarage in Nippur, 2018 soll sie fertig sein, mit Platz für ca. 500 Pkws, aber auch Fahrradstellplätzen, durch Zufall alte Tonscherben gefunden, auf denen Texte zu finden waren, deren Bedeutung zur Interpretation des Codex gar nicht hoch genug eingeschätzt werden dürften. Zumindest lassen diesen Schluss erste vorsichtige Aussagen des verantwortlichen Expertenteamms unter Leitung eines entfernten Vetters des damaligen Autors zu. Leider konnten zwar bislang nur arg verstümmelte Textpassagen kenntlich gemacht werden. Ohne dem endgültigen Ergebnis, bis dahin sicher noch Monate, wenn nicht Jahre aufgebracht werden müssen, vorgreifen zu wollen, kann jedoch gesagt werden, viel, aber eben auch, das hat etwas zu bedeuten. Was nun aber und welche Konsequenzen es haben könnte, soll den Fachleuten überlassen werden.

Mir ist es lediglich darum zu tun und Freude genug, das Wenige, Fragmentarische des bisher Identifizierten hier an dieser Stelle, in diesem wunderbar eingerichteten Blog, der literarisch vorgebildeten Öffentlichkeit, um daraus, aber das wird jeder mit sich selbst ausmachen müssen, ich selbst bin zumindest noch recht fassungslos und ringe um Sprache (oder sagt man Worte?), aber das ja schon immer und gehe daraus nicht immer als Punktsieger hervor, nenne das Vorgefundene bzw. tat das bereits Herr Aziz letzten Donnerstag bei einer einberufenen Pressekonferenz an dem Ort, wo wegen des Fundes momentan die Betonmischer ruhen, nämlich so ziemlich die allererste Rezension eines literarischen Textes:

Hier nun also einige wenige verstümmelte Auszüge daraus (es verliert durch die Übersetzung):

„…..und…lese bereits seit meiner Kindheit……..kann…. zur Zeit der Wende…..sollte…..aus binnenästhetischen Gründen……obwohl vorher……jedoch nicht ganz frei von Kitsch und Klischees……….und doch hat mich der Text sehr berührt…schwere Kost…..seine dichte…..Phallussymbolik….starke Bilder…..eigentlich…..ziemlich…..toll……..interessantes Thema, so noch nicht…nicht unbedingt Nachttischlektüre…..“ usw.

Am Schluss jedoch das Unglaublichste:

„…wenn Ihnen also diese Stele gefallen sollte, so könnte auch………3,5/5 Herzchen……“ etc.

Schlussfolgerungen? Gab es 1800 v. Chr. bereits Wochenendbeilagen, bereits Literaturblogger? Keine Ahnung. Ich weiß nur zweierlei: es ist Sonntag und ich hatte Zeit für einen Beitrag. Und ich fand die Meldung erwähnenswert. Reicht das nicht?

P.S. Spannend genug klingt das alles. Und so, wie ich sonst auf jede Literaturempfehlung anspringe, so alt sie auch sein möge, werde ich sicher bei nächster Gelegenheit im Codex blättern.

Ich gebe euch Zeit für eine kurze Werbeunterbrechung

Mann 1: „Hey! Sag mal, wenn Du dein Leben noch einmal leben könntest, würdest Du alles nochmal genauso machen?“

Mann 2: „Nicht ganz. Ich würde von Anfang an nur noch Texte von Herrn Hund lesen.“

Mann 1+2 lachen

Texte. Herr Hund

 

Ich danke Fielmann dafür, dass sie mir für eine wichtige Botschaft ihren Werbetext überlassen haben. An die Leser: Einiges ließe sich noch korrigieren. Nutzt die Zeit, die bleibt. Aber bevor ihr jetzt losrennt. Nein, leider, aber Texte von Herrn Hund gibt es nicht beim Optiker.

Es kann wieder alles gesagt werden, Goethe sei Dank.

Wie Reto Heintz, Pressesprecher der Sonderkommission „Goethe“, vor etwa einer Stunde mitteilte, konnte der Serientäter, der seit mehr als 7 Jahren im gesamten deutschen Sprachraum Schrecken und Angst verbreitete, endlich zur Strecke gebracht werden. Der unter dem Namen „Der Lektor“ berühmt-berüchtigte Täter, hinter dem die Öffentlichkeit noch vor kurzem einen erfolglosen und talentfreien Blogger und Hundeliebhaber vermutete, ging der Polizei jetzt bei einer Routinekontrolle in einer Leihbücherei ins Netz. Er leistete bei seiner Festnahme keinerlei Widerstand. Über seine wahre Identität schwieg sich der Sprecher aus. „Das ist kein letzter Racheakt des als „Lektor“ bekannten Täters, ich kann und darf Ihnen zu diesem Zeitpunkt, da die Beweisaufnahme noch nicht beendet ist, keine Auskunft über seine wahre Identität geben. Ich kann Ihnen aber sagen, dass wir alle aus Erleichterung, dass der Lektor endlich dingfest gemacht werden konnte, sprachlos sind und nicht, weil es weiterhin in seiner Macht stehen würde.“, so Heintz.

2007 begann, so weit bekannt, die Serie von Morden und Verstümmelungen an Texten aller Art. Als damals im Landkreis Lüdenscheid aus Lokalnachrichten und Wochenblättern einzelne Buchstaben und kleinere Worte verschwanden, vermutete man noch Schlampigkeit bei den Zeitungen. Als aber kurz darauf aus Lesefibeln einer Grundschule in Verdol ganze Sätze verschwunden waren, vermutete die Polizei zumindest in diesem Fall, von einem Verbrechen auszugehen zu müssen, von schwerem Diebstahl, ohne aber einer handfesten Spur folgen zu können. Jedenfalls hatte der Verlust der Sätze zur Folge, dass die gesamte Klasse 1a der betroffenen Grundschule wegen schlechter Noten im Lesen das Jahr wiederholen musste. Eine weitere Zuspitzung gab es im darauffolgenden Jahr, als innerhalb kürzester Zeit die Bürgermeister dreier kleinerer Ortschaften bei Veranstaltungen der Gemeinde nicht mehr in der Lage waren, ihre Rede fortzusetzen, weil ganze Passagen einfach fehlten. Was neu war, war weniger der Verlust der Passagen an sich, als vielmehr, dass es sich dabei nicht mehr nur um den Diebstahl von geschriebenem oder gedrucktem Text handelte wie in den Fällen zuvor, sondern dass den Stadtoberen beim Vortrag der einstudierten Rede die Worte einfach nicht präsent waren, nicht als ob sie diese vergessen, sondern als ob diese nie existiert hätten. Das war eine neue Dimension. Aber auch zu diesem Zeitpunkt ging die Polizei noch von unzusammenhängenden Einzelfällen aus, die lokal begrenzt waren. Und auch dass es nur um Diebstahl, wenn auch schweren, ging, nahm die Polizei bis zu diesem Zeitpunkt an.

Bis im Herbst 2009 Spaziergänger in einem Wald südlich von Lüdenscheid die Überreste eines übel zugerichteten Textes fanden, den die Polizei wenig später als die Seminararbeit des damaligen Germanistikstudenten Karl W. rekonstruieren konnten. Nach dieser Entdeckung wurde das Gebiet weiträumig durchsucht, aber außer ein paar Vokalen und Konsonanten wurden keine weiteren Textkörperteile gefunden. Das Erschreckende war jetzt, wie sich einige Zeit später herausstellte, die Erkenntnis, dass einige dieser Buchstaben nicht zu der gefundenen Seminararbeit passen konnten, also folglich  zu anderen Texten gehören mussten. Einer der Buchstaben, der große Ähnlichkeit im Stil hatte mit einem anderen Buchstaben aus einer der verstümmelten Lokalnachrichten, die bereits 2007 Opfer eines Verbrechens wurden, brachte die Polizei nun endlich zu der Erkenntnis, dass hier ein Zusammenhang bestand und man es mit einem Serientäter zu tun haben könnte. Ab da übernahm die Kripo Lüdenscheid die Ermittlungen und bildete die Sonderkommission „Goethe“ unter der Leitung von Hauptkommissar Peter Schnabel. Wegen der spärlichen Beweislage, gingen die Ermittlungen in alle Richtungen. Vorbestrafte Autoren, Drucker, Journalisten und überhaupt Personen, die ein gestörtes Verhältnis zur deutschen Sprache haben könnten, wurden vernommen, ohne Ergebnis. Der wahre Täter blieb weiter im Dunklen.

In der Zwischenzeit gab es weitere Opfer. Und die Verbrechen blieben jetzt nicht  nur auf die unmittelbare Umgebung von Lüdenscheid begrenzt, was die Ermittlungen umso mehr erschwerten. Prominentester Fall war die fehlgeschlagene Hochzeit zweier Adelshäuser im Jahre 2010, als der badischen Braut im entscheidenden Moment die wichtigen Worte nicht über die Lippen kamen. Diese Worte oder das, was von ihnen übrigblieb, wurden später in einem Keller eines alten Fabrikgebäudes gefunden. Doch auch in diesem Fall ergaben sich keine brauchbaren Hinweise. Nur stellte der Brautvater zur Ergreifung des Täters eine ansehnliche Summe in Aussicht, was sich in der Folge auf die Polizeiarbeit eher negativ auswirkte. Im gleichen Jahr, einen Monat später betraf es wahrscheinlich einen ziemlich guten Text eines Bloggers unter dem Titel „Prosa im Maßstab 1 : 1“, von dem aber nur ein paar Satzzeichen überleben konnten. Dem Autor gelang es später lediglich, einen Satz daraus zu rekonstruieren. Der Erfolg blieb dabei aus und der damalige Autor arbeitet heute in einer Autorwaschanlage.

Ein Profil des Täters zu erstellen, blieb schwierig. Er schien seine Opfer wahllos auszusuchen. Buchstaben, einfache Worte, ganze Sätze oder komplette Texte, gedruckt oder bloß gemerkt, alles fand sich. Offensichtlich hatte der Täter aber einen großen Hass auf alles, was es in Textform geben konnte. Und die Abstände zwischen den Morden wurden immer kürzer. Besonderes Ziel der Morde blieben aber Leihbüchereien und Buchhandlungen. Es gab Verlage, die mit erheblichen Umsatzeinbrüchen zu kämpfen hatten, weil in den Geschäften von ihren Bestsellern nur leere Seiten übrigblieben. Das Stadttheater in Lübeck musste sein Programm für 2010/2011 neu einstudieren, weil nahezu das komplette Repertoire an Stücken in einer einzigen Nacht im mai 2010 dem Lektor zum Opfer fiel. Ab 2010 verließen alle, die irgendwie mit Texten zu tun hatten, in Scharen das Land. Es wurde stiller in Deutschland, dem Land der Dichter und Denker. Immer ängstlicher hielten die Menschen ihre Worte zurück, um ja nicht dem Lektor in die Hände zu fallen. 2010 wurde zum ersten Mal auf die Neujahrsansprache des Staatsoberhauptes verzichtet. Das blieb drei weitere Jahre so. Die großen Buchmessen in Leipzig und Frankfurt waren besonders gefährdet und blieben deshalb bis auf Weiteres geschlossen.

Doch heute, eher durch Zufall als gute Ermittlungsarbeit, konnte der Lektor in einer der letzten offenen Leihbüchereien des Landes gefasst werden. Die Sprache kann jetzt wieder, denke ich, ruhiger……ruhiger……ruhiger……was wollte ich sagen? Oh Gott!

Das Märchen vom kleinen hässlichen Text (aus dem Dänischen übersetzt)

Es war einmal vor gar nicht allzu langer Zeit ein furchtbar hässlicher kleiner Text, den niemand beachtete, geschweige denn lesen wollte. Einmal ausgedruckt in Schriftart Times New Roman, dann aber abgelegt wie einen alten Hut, dauerte der Text sich ob der Vernachlässigung durch den, der ihn in der unbestimmten Hoffnung, ein Autor von Talent zu sein, verfasst hatte. Und, um bei der Wahrheit zu bleiben, war er in der Tat ein sehr hässlicher kleiner Text. Die Figuren darin waren holzschnittartig und ohne jede Tiefe, der Plot hatte mehr Logiklöcher als junger Gouda und die Sprache war von bemitleidenswerter Armut. All die anderen Texte, wie der eitle „Krieg und Frieden“, der hochmütige „Zauberberg“ oder der besserwisserische „Mann ohne Eigenschaften“, in ihren edlen Einbänden aus Leder, ebenso die biestigen kleinen Gedichte etwa über Glocken, Panther oder Radwechsel in ihren hübsch gemachten Geschenkanthologien, belächelten ihn im günstigsten Fall, verhöhnten ihn aber zumeist von ihrem saturierten Platz aus, ganz oben im Regal im Kolonialstil. Ja selbst die paar Soft-Cover-Krimis und Fantasyromane, die sich auf einem der unteren Fächer des Regals oder auf anderer freier Fläche fanden, rümpften noch ihre Nasen. Sie hatten Lektüre erfahren, zumeist zwar nur das eine Mal im Urlaub oder schlafloser Nacht. Dem hässlichen kleinen Text wurde aber sogar das verweigert. Er wollte zwar natürlich auch gelesen werden, aber am meisten verlangte es ihn, zu denen da oben im Regal zu gehören. Nein, er verblieb in der Ablage auf dem Tisch, ungelesen, ungebunden, unkorrigiert, nackt. Irgendwann würde er einfach entsorgt, als Füllmaterial für Umzugkartons enden oder zur Unterlage in Vogelkäfigen oder Mülleimern mißbraucht werden. Langsam aber sicher schwand seine Hoffnung. So verlassen und ungeschützt begann das Papier, zu vergilben. Immer mehr verblassten Worte und Sätze, bis eines Tages der kleine hässliche Text zu Unentzifferbarkeit geworden, und also besser nie geschrieben worden wäre; denn wo kein Leser, da fehlt sein Grund.
Doch eines Tages, als er schon nicht mehr daran glaubte, kam ein Verleger zufällig des Weges, wurde seiner ansichtig und war voller Mitleid. Und so kam es, dass der kleine hässliche Text, gerade rechtzeitig zu den großen Buchmessen im Herbst, veröffentlicht wurde und, mithilfe geschickten Marketings zum Bestseller in Millionenauflage avancierte und heute unter dem Namen „Shades of grey“ sehr bekannt und beliebt ist. Auf das Regal im Kolonialstil hat es der kleine hässliche Text zwar bislang noch nicht geschafft, dabei aber zum Beispiel unter manchem Kopfkissen einen viel angenehmeren Platz gefunden. Ob er auch gelesen wurde, erzählt das Märchen nicht.