Schreiben mit dem Sieb

„Verdammt!“ Yamane schnalzte ärgerlich mit der Zunge. „Sie müssen schreiben, um nicht zugrunde zu gehen. Nur das Schreiben läßt den Menschen in Ihnen nicht untergehen. Auch wenn Schreiben natürlich nichts anderes ist als der Versuch, aus einem Teich den Mond, der sich darin spiegelt. herauszuschöpfen. Mit einem Sieb

Ikushima, Aussteiger, Umfaller, pflanzt lieber Kutteln und Hühnerteile auf Spieße. Ist alles gleich.

Doch das Schreiben von Romanen ist weder hehr noch sonst etwas, Wo liegt der Unterschied zum Bestücken von Spießen mit den Kutteln verreckter Rinder und Schweine?

Ikushima kümmert der Rat eines Freundes nicht, der sich einmal Ikushimas Lage anschauen wollte. Ikushima spießt auf. Dabei ist er gebildet, ist er Hochschulabsolvent.

Die ganze Szenerie von „Versuchter Liebestod“ von Kurumatani ist von schönster Trübsinnigkeit. Die ehemalige Ami-Hure, bei der Ikushima unterkommt, die Yakuza, die tätowierte Frau, Aya, mit der sich Ikushima einlässt, die gelegentlichen Wanderungen entlang trostloser Ufer an stillgelegten Industrieanlagen vorbei.

Die ganze Geschichte ist wie ausgebleicht. Der titelgebende Höhepunkt zum Schluss, er fällt aus. Die Liebenden gehen auseinander, ihr bleibt von ihm ein Duftsäckchen, das Ikushima eigentlich für seine Wirtin gekauft hatte und seitdem in einem Geheimfach mit sich herumtrug.

Ich möchte die Faszination solcher japanischer Literatur für mich lieber nicht erklären müssen. Es wäre allzu heikel vielleicht.

Doch das Zitat vom Schreiben als das Einfangen des Mondlichts mit einem Sieb ist eine Erwähnung wert, besonders da ich die Tage zu oft habe lesen müssen vom Schreiben „just for fun“. Nur darum zu schreiben, das wäre mir dann zu wenig heikel. Und mir ist, als käme mir dabei eine verschämte Unverbindlichkeit zum Ausdruck und Literatur wäre alleine dazu da, Zeit totzuschlagen oder höchstens zu gebrauchen als „Duftsäckchen“.

Wir sind Dilettanten. Na und? Was Schreiben wem auch immer nutzt? Keine Ahnung. Für mich, da hoffe ich, ich schreibe für mehr als nur für ein paar guter Worte und ein paar Sterne oder nur zum Spass. Es fühlt sich bisweilen so an, es könnte so sein. Öfters, wenn ich nicht schreiben kann, dass ich aber schreiben möchte. Um zu behalten, was mir verrinnt. Mit mäßigen Mitteln.

Das Leben pendelt hin und her zwischen Mond und Fleischspießen, meist mehr hin zu den Spießen.

 

 

 

Beinahe tun

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Man kann nur tun, was man tun kann. Der Rest passiert einfach. Verfluchte Freiheit. Wenn es nur ginge, einer hielte einen Zeitraum abgeschlossenen Lebens zwischen zwei Buchdeckeln fest, kunstvoll und sinnhaft. Wir könnten es lesen und sagten uns, ja, ich verstehe, es ist gut.

Aber tut ja keiner. Stattdessen läuft’s einfach weiter bis zum natürlichen Ende. Dabei wäre es so schön angenehm, einer würde einem die ganzen Leerstellen nehmen, die Belanglosigkeiten, die Dinge, die irgendwie nichts beitragen zum Bild. Ja, so stelle ich mir das vor. So sehe ich mich.

Dafür ist Literatur gut. Ist nicht meins. Ist aber schön. Oder ist doch auch meins, aber nur eben das Sinnhafte, das Gute, das Wesentliche. Da kann ich mich schon wiederfinden.

Die Freiheit ist grässlich. Sie hätte einen besseren Autor, zumindest aber Lektor gebraucht. Irgendwie ist’s zu viel von allem, ausufernd. Und diese Wiederholungen, diese Zähigkeit in den Handlungen. Wäre viel auf ein gutes Maß zusammen zu streichen gewesen.

In Literatur, wie sie einem vorgesetzt wird, sind Könner am Werk. Die Figuren funktionieren. Ich sitze vor den Büchern, da ich mich gerade langweile, wie vor einem Monitor (ich könnte auch was anderes tun) und fast kommt’s mir so vor, sie handeln durchaus auch nach meinem Willen. Ich, der zweite Autor. Das würde ohne mich nicht gehen. Es ist mein Verdienst auch, ist das Gefühl; ich berausche mich an der Stimmigkeit.

Dann ist’s ausgelesen, der erste Autor ist wohl der echte, es ist ein Bestseller, ich aber schlag mich wieder rum mit Leerstellen und Dingen, die nicht funktionieren: fehlendes Talent, fehlende Zeit, fehlende Anstrengung, kein Wille.

dass die Bilder vor seinen Augen in der Lage wären, die Bilder hinter seinen Augen zu verdrängen

Marotti sitzt vor den Überwachungsmonitoren und beobachtet Lucy, „Kerze“, und Simon, „Marc Anton“ , eine Zufallsbegegnung am Bahnhof, und er denkt, für ihn wird’s wieder gut, wenn er’s für sie richten kann. Tatsächlich verläuft seine Einmischung nicht nach Plan. Oder doch? Es bleibt jedenfalls nicht ohne Ergebnis. Aber dass sich deswegen etwas für Marotti ändert, bleibt unbeantwortet.

Die äußeren Bilder und die Betroffenheit, die sich darin erschöpft. Da ist der Junge, den Simon ertrinken sieht. Ein Flüchtling? Simons Aufgebrachtheit, ihn nicht retten zu können, dagegen seine eigene innere Orientierungslosigkeit, nicht Herr seiner eigenen Handlungen zu sein, irgendwie die Dinge nur „beinahe“ zu tun. Stattdessen ein Bild, das einen bewegt, ohne dass es etwas wesentlich ändern würde.

Das Buch war eine schöne Zufallsbekanntschaft, ein gelungenes Debüt, eine lohnenswerte Begegnung, würde ich gerne sagen. Aber gerade das ist die Frage. Literatur ist nur „Beinahe“-Leben. Wie viel von dem, was Literatur an Lohn für einen bereithält, für’s Leben einen Wert noch hat, entscheidet jeder für sich selbst.

Aber wenigstens das weiß man, dass man sich entscheiden muss. Beim Lesen muss ich das nicht.

 

Marie Malcovati – Nach allem, was ich beinahe für dich getan hätte (Edition Nautilus)

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Über die Wahrnehmung

Wir sind alle Puzzle, die nicht aufgehen. Höchst unwahrscheinlich, dass am (Lebens-)Abend das letzte Teil passend gelegt werden kann. Feilen und mit der Nagelschere störende Teile bearbeiten und stutzen, dass es passt, ist gemogelt.

Wir sind alle nicht Schloss Neuschwanstein in 5000 Teilen, schwer zu legen, aber aufgehend. Wir werden nicht fertig an einem regnerischen Samstagnachmittag bei Tee und einem Teller mit Keksen.

Wir sind immer Viele. Und die übrig bleiben, sind wir auch. Wir sind der ständige Wechsel unserer Vorstellungen und die der anderen.

Wir sind permanente Fremde in uns selbst. Wir sind Kolumbus. Wir sind unentdecktes Land. Wir sind der weite Ozean dazwischen. Und der endlose Raum. Wir sind Grenze und Überschreitung. Wir fliehen vor dem, der wir sind. Oder igeln uns darin ein.

Wir sind Heraklits Enkel und ständig im Fluß, mehr Werden als Sein.

Das alles als kurze Einleitung um nun in zwei sehr schematischen PowerPoint-Blättern zu zeigen, wie es sich mit mir verhält, verhalten könnte:

ICH

Nur dass zumeist ich nicht mit mir alleine bin und Korrekturen wie der folgenden Rechnung zu tragen habe:

ICH_PerspektiveII

Ich habe den festen Glauben, dass ich mehr bin als gesichtsloses Fleisch, bin aber überzeugt -und die Einleitung sollte das deutlich machen- dass ich auch solch Fleisch sein kann, solche Muskeln und Sehnen, solch anschauungswürdiges Menschenmaterial, solch formvollendete Bein-, Schulter und Rückenpartien.

Doch dieses Ich puzzelt noch. Warten wir das letzte Teil erst ab, bevor wir uns festlegen wollen.

Bis dahin grüßt und wünscht noch einen schönen Tag die meisten von mir, wenn nicht sogar alle.

 

Das Besondere und das Nebensächliche

Noch genau werde ich mich…..

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…an den Bodenbelag,…

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…an dieses Absperrband,…

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…an dieses Fahrrad,…

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…dieses Graffiti,…

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…an dieses Dixi…, nein, daran nicht, aber…

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…an diese zwei Luftballons sehr gerne und…

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…ebenso an diese Riesenradgondel,…

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…aber auch an diese Trinkbehälter,…

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… an diesen Spatz oder…

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…diese Ampel erinnern…

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…zu diesem besonderen Tag…

 

…Oder auch nicht. Oder?

…Wäre aber schade, wenn nicht.

…Fragen Sie mich besser nächste Woche noch einmal!

 

 

(…Daran muss ich aber niemals erinnert werden: Spatzen mag ich, ganz besonders mag ich die, an jedem Tag.)