Alle Literatur ist Fragment…

 

…alle Auslegung, jedes Verständnis unvollständig; es bleibt spannend, es erschöpft sich nicht. Literatur (Kunst) ist immer mehr, als wir wissen. Sie ist das Blair Witch Projekt, Zittern und Heulen im dunklen Wald.

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Seltsame Gedanken, kamen mir gegen Ende einer ziemlichen Surrealität. der Speichel floss ungehemmter. Dagegen immer widerspenstiger die vorzutragenden Worte. In den leeren Raum hinein las ich Serbes‘ „Fragmente“. Bequem der gelbe Sessel, zwei Stehlampen für gutes Licht, Keks und Wasser auf kleinem Beistelltisch. Die Wegmarken meines Vortrags stellte ich ins Netz, #fragmentelesen. Acht Stunden lang und am Folgetag noch zwei, ein paar Pausen, eine für den Wochenendeinkauf, Käse, Wurst und Gurken.

Wenn man liest, liest man gegen die Leere an. Man wünscht sich sehr, in dieser Leere würden sich die Worte verfangen. Dem ist meist nicht so.

Am Ende, am Schluss der letzten Erzählung Galip Ishani  stand der Satz

„Du konntest mich nicht erklären.“

Jedem Buch -sicherlich ungerechterweise- könnte ich diesen Vorwurf machen. Das Zitat ist aus dem Zusammenhang gerissen. Ich verwende es für mich. Aber letzten Endes ist jedes gottverdammte Zitat aus dem Zusammenhang gerissen, im ersten Moment, in dem man es auf sich verwendet, bestimmt.

Trotzdem es also in diesem anderen Zusammenhang nicht stimmen mag, denke ich doch darüber nach, dass keines der Bücher, die ich jemals gelesen habe, mich erklären konnte. Dabei bin ich mutmaßlich einfach gestrickt.

Dass die Sehnsucht nach einer Erklärung doch nie endet, nie aber enden soll.

Als ich laut las und nur ein leerer Raum um mich herum, ahnte ich zumindest, dass da eine  gewisser Starrsinn bei mir ist und ich es mir mit Büchern nicht leicht machen kann. Bei allem schönen Sinn ist immer ein Grimmen und Zähnefletschen dabei, irgendwo anzukommen mit dem ganzen Tun.

Und dann nie mehr lesen zu müssen, weil keine Fragen mehr sind. Und keine Leere mehr.

Was wäre das furchtbar. Nie mehr lesen zu müssen.

Bäuche, Schenkel und weit dahinter erst der Horizont

Zitate sind gemein. Kommen zu spät. Hätte ich vorher wissen sollen. Was man von Literatur lernen kann für das vergangene Leben? Möglichkeiten, bedauerliche, die man versäumt hat. Ich habe die Hoffnung, das Leben wiederholt sich und ich bekomme die Gelegenheit einmal mehr, da ich’s nun weiß:

Ich kann zwar nicht tanzen, aber am Strand kann jeder tanzen, dachte ich.

aus: EmrahSerbes – Fragmente, binooki

Junger Mann, tolles Buch, vorbildhafte Blogeinträge. Werde es öfter nun bei mir tragen, und rechtzeitig dann, warte, warte, ich blättere noch, zu wissen, was an dieser Stelle zu tun ist. Und habe die Hoffnung, etwa dann am Strand, doch noch zu tanzen.

Stattdessen mich im Strandkorb ausgesetzt, literarisch auf dem Weg zum Anus, vor mir beim Abstreifen der nassen Bademoden, das große Badetuch verdeckt nicht alles, gelegentliche und leibhaftige Ani. Ich schaue irgendwohin, erst nach oben. Der Himmel außer mir ohne Wolken, blau, ein strahlend heller Spätsommertag, dann ich aber wieder unterwegs in UnSchwärze: Ymir.

Die Welt ein riesenhafter Körper, vor mir, um mich, mehr als einer, wie gesagt, an mir selbst sogar – Körper. An Stränden laufen und liegen Bäuche frei herum. Es ist ihr natürlicher Lebensraum. Am Strand lässt man seinen Bauch von der Leine. An ihm brechen sich die Wellen der  Brandung, wenn er auf Schenkeln, um sich zu kühlen, ins Wasser sich trägt.

Das Körperliche begrenzt meine Lektüre.

Ymir, ironisch gebrochener Abenteuerroman, ein kleiner feiner Band, enthält, nebst dem einen nordischen Riesenkörper, der durchwandert wird, Körperliches in nuce: Kotze, Urin, andere Realitäten und Bedrängnisse. Und dabei Wagner im Gepäck, die holde Musik. Doch wie schön, ich muss nichts besprechen. Es fanden sich davon bereits mehr als Brauchbares, hier und hier etwa. Bereitwillig und nicht ohne Lust, und das erschreckt mich, folge ich also, brav wie ein Goonie, einem Nazi in die mystischen Eingeweide. Literatur, wenn so gekonnt, ist Verführung. Und Phantasie kennt kein Halten, bis in die Dunkelheit hinein, bergab, ohne nennenswertes Ergebnis, nicht hinauf, wo sich Phantasie so gerne sieht. Nicht also Peterchens Mondfahrt, sondern Nazi-Expedition, dass Groß-Heinrich später berichtet werden kann. Eigentlich scheußlich, dass man dabei bleibt.

Was mir auf Usedom so passiert?

Ich schrecke auf. Mich rettet die nächste Lektüre. Ganz was anderes, ein Sachbuch. Auf Island waren’s Erscheinungen, so wahr, wie es unter den Umständen sein kann und eben bei Erscheinungen so läuft.

Und Erscheinungen, ein ganzes Panoptikum, finde ich „Im Restaurant“ auch. Es beeindruckt die Montagetechnik. Aus vielen Einzelgeschichten stellt sich ein komplettes Panorama dar. Das ist schon sehr gut gemacht, nicht bloße Anekdotensammlung, sondern tiefe Einblicke in Gastraum und die bislang ungesehenen Räume dahinter. Schmackhafte Lektüre, während ich mir zwischendurch mit Backfischbrötchen den Hunger von der Seele futtere. Buden am Strand tauchen in dem Buch nicht auf, vieles Andere schon. Für nur ein Sachbuch im laufenden Jahr keine schlechte Ausbeute, wenngleich es Fragen nach sich zieht, warum nur eines.

Zum dicken Bauch am Strand gehört der dicke Schmöker. Der war natürlich dabei. Und da’s mich kaum in die quallendurchsetzte Ostsee drängt, komme ich gut voran. Das Dicke macht es mir leicht.

Aber drei Tage sind kurz, ich habe es nicht geschafft, die Lektüre besenrein hinter mir zu lassen. Ich nehme New Orleans unaufgeräumt mit nach Hause. Es beschäftigt mich noch sehr gelungen.

Wenn nicht gänzlich erholt, so war meine Rückkehr wenigstens heile. Es hätte anders ausgehen können. Mancher hatte sicherlich schon diesen Traum, von wilden Tieren gefressen zu werden. Das geht nie ganz ohne Lust ab. Meistens sind’s dann jedoch, Eisbär, Hai, Löwe oder Tischer, von dem man träumt. Ich wäre beinahe, ein Riesenbrötchen, von Möwen verspeist worden. Die „Fütterung“ war nicht ohne Lust. Warum hätte ich sonst wohl gelacht dabei? Das ist passiert, sonst nicht viel. war gut so. Denn sonst, und damit wären wir wieder beim Anus, dass irgendwann und irgendwo über tiefer See, mich die Möwe erst wieder befreit hätte. Und ob sie’s bis zum Horizont geschafft hätte, bis sie sich hätte von mir entleeren müssen. Ich bezweifle das.

Und nun bin ich wieder hier, eine anberaumte Literaturfehde steckt noch in den Kinderschuhen und muss durchgeführt werden. Energie wäre da.

Ich kehre aber in Gedanken nochmal (sicherlich noch öfter) zu Serbes zurück. In der Türkei gibt es IKEA auch. Das tröstet mich irgendwie. Denn wenn die Welt verrückt spielt und kurz davor scheint, auseinanderzufliegen, so ist IKEA ein Tempel der Hoffnung. Denn wo sonst wird einem gezeigt, dass alles und von jedem mit wenigen Handgriffen zusammengebaut werden kann. Die Welt wäre perfekt, wäre sie IKEA.

Ob es auf Usedom einen IKEA gibt, werde ich bei meinem nächsten Besuch überprüfen.

 

Was kommt, kommt

Und zuletzt zu Marcels großer Freude am 09.12. Terézia Mora, die von der „Liebe unter Aliens“ erzählt.

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Ob er neben ihr auf der roten Couch Platz wird nehmen dürfen, wird man sehen. Soweit ist es noch lange nicht.

Denn zuvor -schon am kommenden Freitag den 02.09.– wird, ein Tag nach Neumond, Sebastian Guggolz uns hoffentlich ins „Mondreich“ mitnehmen, wenn er uns Jiri Mahens „Der Mond“ vorstellt.

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Live-Musik wird es geben und ich wahrscheinlich bei „Moonriver“ zu weinen anfangen.

Am 23.09. wird feierlich Deutschlands erster „binooki-store“ eröffnet und eine Woche lang werden bei uns ausschließlich Bücher aus diesem feinen Verlag zu entdecken sein. Zudem wird ein Titel aus dem Programm komplett gelesen werden. Es dauert, so lange es halt dauert und jedem steht es frei, einzusteigen. Schokolade wird’s erleichtern. Und man muss deshalb nicht Türkisch können, um gute Literatur zu erkennen, wenn man sie liest. Mein eigenes ist nur fragmentarisch vorhanden und ich bin nicht mal sicher, ob meine Übersetzung für Fleisch am Drehspieß die richtige ist.

Dann aber und endlich gehört der 11. + 12.11. dem Nougat, Ansprache, Vortrag und vor Allem Verköstigung, die eine Diät meinerseits und vorab notwendig macht. Ich will und werde fit sein für diese zwei Tage.

Es ist Weiteres geplant, aber aus ungelegten Eiern lässt sich kein Omelett machen. Sobald gelegt, wird Bescheid geben. Vielleicht wird Fräulein Schneefeld zur Weihnachtszeit noch etwas zu bieten haben.

Abwarten.

Selbst ganz gespannt.

gez. Herr Hund

Itiraf ediyorum(*): „Ich habe binooki beklaut.“

Ich habe binooki beklaut. Ich fühle mich räudig deswegen. Ein paar Tage ist es erst her seit dieser Tat. Ein für diesen Juni lauer Sommerabend, ein Geburtstag, 4 Jahre, eine Lesung und anschließend Häppchen, von denen zu viele ich aß. Doch von diesem Laster will ich gar nicht reden.

Nein, denn ich habe binooki beklaut. Es war diese Gelegenheit. Die Lesung war vorbei, ich war auf’s Äußerste angeregt. Alle strömten nach draußen. ich nicht, trotz der Häppchen. Keiner hat mich bemerkt. Alles recht unübersichtlich. Viele Menschen, auch einige Besiktas-Fans. Ich blieb zurück. Und tat es. Ich habe so etwas noch niemals vorher getan, ich schwöre.

Doch ich wollte diese Kleinigkeit, als eine Erinnerung. An den schönen Abend. Aber vor allem als eine Erinnerung an den Ehrengast.

Ich habe die Hoffnung, es müsste noch möglich sein, sich irgendwie zu arrangieren. Es muss nicht gleich ein Fall für die Justiz daraus werden. Ich bringe es zurück, wenn es sein muss, schicke es mit der Post. Oder arbeite es ab, indem ich die Bücher austrage oder so. Was hat binooki auch für Autoren, denen man an den Lippen hängt, wenn man zwangsläufig auch nicht jedes Wort versteht? Mit den Übersetzungen aber, da kann ich folgen. Das klappt. Sehr gut sogar.

Und werde verführt. Letzten Montag sogar zu einem Verbrechen.

Denn ich stahl ein Fragment von der Bierflasche von Emrah Serbes.

FragmenteDabei fällt mir ein, wo ich dieses Geständnis ablege, dass ich ein noch größeres Vergehen zu gestehen habe: ich habe noch kaum ein Buch von binooki gelesen UND von dem Ehrengast vom letzten Montag nicht einmal eine Zeile. Ich werde rot, da ich dies schreibe, nicht allein, weil das ja gar nicht geht, sondern auch wegen meiner Dummheit und meines Übereifers, hätte ich doch lieber seine Bücher klauen sollen und nicht einen Kronkorken.

So werde ich mir seine Bücher nun wahrscheinlich kaufen müssen, will ich sie lesen, denn ich denke, für die nächste Lesung wird das Hausverbot für meine Person zu rigoros umgesetzt werden, verständlicherweise.

Ben aptal! (*)

(* ansprechend wird bei binooki vom Türkischen ins Deutsche übersetzt, ich musste für den umgekehrten Weg auf den google-Übersetzer vertrauen. So oder so, es kam von Herzen, vorhandenes Sprachverständnis ist allerdings nicht zu vermuten. Bei Fehler in der Übersetzung bitte ich um Nachsicht und Korrektur.)