Im Kern wird’s eine Bedeutung haben.
Unzählige Lesezeichen, viel mehr als üblich, habe ich für dieses Buch verbraucht. Im Nachhinein erscheinen viele unnötig, von außen betrachtet die meisten sogar beliebig. Im Text waren es Wegmarken. Nicht, dass ich sie gebraucht hätte, um in der Geschichte voranzukommen. Man kommt nicht ab vom Weg, es liest sich gut. Doch immer ist da die Frage, wohin will es. (siehe 1/3 und 2/3)
Die Marken sind wie Brotkrumen, die aber nicht etwa hinaus-, sondern eben hineinführen sollen, dahin, wo man den Kern der Geschichte vermutet.
Es war ein Leserausch, und übrig bleibt die Erinnerung wie ein Rauschen. Natürlich die Geschichte, der Stalker im Rollstuhl, das Opfer als Täter, die Frau als Gitarre, das in groben Zügen. Doch zur Erklärung Tautologien, was man hineintut, die Marken, die man setzt, es könnten andere, an anderer Stelle sein.
Ein Tapir ist ein Tier mit einem Rüssel, der wie ein Rüssel aussieht
Es könnte der Roman lediglich „Arrangement“ sein, eines, das am Ende nicht funktioniert, nicht aufgeht und die Verstörung darin liegen mag, dass nichts daraus folgt. Könnte? Ist, ist es bestimmt: Non sequitur. Der Epilog ist bloße Fortsetzung. Er beruhigt nicht mehr.
Literatur ist voller Zeichen, Referenzen, Anspielungen und Bezüge. Man nimmt die einen auf, versteht oder erkennt andere nicht, übersieht viele, doch dadurch immer, je nachdem, eine jeweils für einen eigene Ordnung. Wahrheit, das klinge zu hoch. Es fallen auf Musikstücke, Zitate, nichts kann ohne Grund sein. Das ist die Regel.
Man gibt meist -kurz- den Inhalt wieder, was geschieht, nimmt an, das könnte eine gute Möglichkeit zur Orientierung sein, es hilft aber nicht wirklich. Bei Twitter schrieb einer, „Seite 700, endlich passiert etwas“. Das stimmt so natürlich nicht. Und doch, etwas über die Hälfte, da treten kurzzeitig Ermüdungserscheinungen auf. Weiterhin faszinierend, sich im Weltbild Natalies zu bewegen, doch wo ist die Entwicklung?
Wo ist die Klugheit? Ingenieure sind klug, sie bauen Brücken und Straßen. und ich kann darüber gehen und komme irgendwo an. Was bleibt aber von einem Buch wie diesem? Wohin bringt es mich? Was bietet es mehr als weitere Bilder? Früher lagen auf Toiletten Bücher mit Sinnsprüchen aus. Heute wird getwittert. Statt Spülung Weiterscrollen.
Und denk mal daran, was wir im Internet machen. Nächtelang davor wach bleiben. In Südkorea sterben sie der Reihe nach über ihren Online-Spielen. Essen nicht mehr, vernachlässigen ihre Babys. Daher kommt unsere Ruhelosigkeit. Dieses schreckliche Weiterklicken. Immer von Link zu Link.(…) Es ist der Geist der schlafberaubten Ratten, der das Internet durchrauscht.
Natalie im Buch gehört der Generation Spotify an. Alles steht zur Verfügung, unzählig. Für die Lücken im Rauschen, die es noch gibt, nimmt sie eigene Tonspuren auf ihrem IPhone auf, Gesprächsfetzen, Essgeräusche, was sie findet. Ein Leben in einer „Wolke“ oder „Blase“. Cloud. Die Freiheit liegt im Streunen.
Kein Buch von Nähe. Eines eher von Einsamkeit, die vom Rauschen übertönt wird.
Kafkas „Auf der Galerie“, am Rand stehen, zuschauen, hinsehend, sich seine Gedanken machen, dabei dort immer weiter, das Tatsächliche, fiele mir ein, ein Zitat bei Setz, doch finde es nicht, finde es nicht gleich bei all den Marken, die ich gesetzt habe, es war irgendwas, dass man vom dauernd Zuschauen langsam irre werden kann. Ich hätte, konnte aber nicht alles markieren. Das wäre wenig sinnvoll.
– Sind wir Publikum?, fragte Natalie.
– Ja, das kann man sich meist nicht aussuchen. Man ist immer unfreiwillig Publikum. Aber je mehr man zuschaut, desto mehr, äh, verirrt man sich.
Doch noch gefunden. Beim Suchen mich an anderen Stellen gefragt, diese kenne ich nicht, habe ich jene gelesen, ich kann mich nicht erinnern.
Ist es ein Internet-Roman? Gut möglich. Wie die Einfälle durchrutschen, jeder so originell, unerhört, witzig. Ich verteile Sternchen, folge ihnen. Dann lese ich weiter usf. Am Ende sind es nur Einfälle. Das ist keine Schwäche des Romans. Eher eine der Zeit.
Natalies Welt bricht zusammen. Von ihrer streunenden Freiheit bleibt nichts übrig. Der Epilog soll beruhigen. Ich mag ihn nicht. Überhaupt Welt? Was ist das? Was ist Welt in der Wolke, in der Blase, im Netz. Ein wenig entrückt vielleicht. Ein wenig aus der richtigen Perspektive geraten. Zu nah, zu fern, zumindest nicht ganz deutlich.
Manchmal schien es ihr, als wäre die ganze Tragik des Lebens in der Tatsache versammelt, dass man sich nicht selber kitzeln konnte.
Man ist nur allein ganz bei sich, kann es aber nicht genießen, die Freude ist nur mit denen, die unsere Welt beschneiden, wenn nicht gefährden.
Das Stachelschweinproblem.
Ich tue mich schwer, mich auf einen Gedanken zu einigen. Und wahrscheinlich würde dieses Buch noch eine ganze Weile reichen als Lektüre. Es führt mir nur in so einem Maße Virtualität von Literatur, von Worten vor Augen, dass ich lieber davon absehe.
Für’s Erste.
Und zitiere erstens Natalie, es für mich in Anspruch nehmend:
…ich hab oft diese inneren Gedankensprünge und vergesse, dass mir andere Leute nicht folgen können. Weil sie nicht in meinem Kopf wohnen.
Also…
Non sequitur.
Und deshalb verlasse ich mit einem zweiten Zitat diese Beitragsblase für heute und sage…
Und falls wir uns nicht mehr sehen sollten, Guten Tag, Guten Abend und Gute Nacht.
Clemens Setz – Die Stunde zwischen Frau und Gitarre, Suhrkamp-Verlag