Lektüre zur Unzeit – „Das Norman-Areal“ von Jan Kjaerstad, übersetzt von Bernhard Strobel (Septime Verlag)

so ist es immer: sobald man versucht, dem Wertvollsten an einem Buch gerecht zu werden, fehlen einem die Worte.

Zuhauf und in großer Menge fehlen sie. Dabei hatten die ersten Monate in diesem Jahr zahlreiche Bücher, die alle bewegten. Dieses besonders. Auch weil es in der Frage erschüttert, warum überhaupt lesen? Wie und was davon anderen mitteilen?

John Richard weiß, wann ein Buch ein Segel ist, wann Schokolade. John Richard ist Lektor, der Kapitän im Verlagsschiff und plötzlich wird ihm übel, wenn er nur anfängt, ein Manuskript zu lesen. Er flüchtet auf eine Insel und verliebt sich in Ingrid. („Ich habe keine Zeit zu lesen“, sagte ich stattdessen. „Ich bin verliebt.“) 

Doch Literatur ist wichtiger als das Leben und John Richard empfindet die sich einstellenden Streitereien um Kleinigkeiten als banal und beengend. Sobald er wieder anfängt, zu lesen. Ingrid ist klug, erfolgreich, perfekt, aber es passt nicht.

(„Ab und an lese ich auch Bücher, die nicht aus dem aktuellen Programm stammen.“, habe ich gerade im Internet gelesen. Dass diese Leistung extra betont wird. Dass Bücherstapel ins Bild mit rechtem Licht geschoben werden, man könnte/müsste darüber die Lust verlieren.)

Da ist noch mehr

Lesen, wie John Richard es im Roman praktiziert, ist ein Mehr an Wirklichkeit, ist nicht ein Fliehen von der Welt, ist vielmehr ein Hineintreten in die Welt, ist darum für das Leben nicht ungefährlich, weil es nicht so viel zu bieten hat. Entweder – Oder.

Nach John Richard gewinnen die Buchpreise immer die ‚Inzestromane‘. Deswegen ist es aber noch nicht große Literatur. Das ist natürlich überzeichnet. Natürlich ist es nicht ganz so schlimm.

(Als ich vorschlug, ein Buch mehrere Male zu lesen –Da ist noch mehr-, hielt man es für Zeitverschwendung. Nicht so sehr die 100.000 Titel pro Jahr sind das Problem. Es macht eher den Eindruck, es fehle beim Lesen Konsequenz und Ausdauer. Nicht die Ausdauer für Tausendseiter ist gemeint. Die Ausdauer, allein zu sein und am Ende mit mehr Fragen als Antworten und vielleicht unverstanden. Lesen ist ein einsames Geschäft, nicht ohne Risiko. Da kann einem keiner helfen, kein Lesekreis. Eine Challenge ist nett gemeint, aber gewinnen kann nur der Leser allein.)

So hart es einen trifft, das Buch ist nicht ohne Ironie zum Schluss. Lesen ist nichts Eindeutiges. Was man gewinnt, bleibt am Ende immer zweifelhaft. Dennoch freue ich mich und für mich selber, dieses Buch gelesen zu haben. Meine Segel haben wieder Wind bekommen. Wo auch immer sie mich hinbringen. Wie stürmisch es wird.

‚Alle Seemänner haben ein Segel auf der Stirn‘, sagte er. ‚Die Herausforderung besteht darin, einen Wind zu finden, der es füllen kann.‘

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Jan Kjaerstad – Das Norman-Areal, Septime Verlag