Philipp Böhm „Schellenmann“ (Verbrecherverlag)

Bereits ein Buch weiter lese ich im Nachwort von Eva Menasse zu Heimito von Doderers „Die Wasserfälle von Slunj“ das Doderer-Zitat „Ein Werk der Erzählkunst ist es umso mehr, je weniger man durch eine Inhaltsangabe davon eine Vorstellung geben kann“
Mir ist nun jedes Argument recht, dass mich davon befreit, nachzuerzählen, was geschah. Ich will das nicht und habe auch wenig Talent dazu. So bin ich Herrn Doderer (bzw. Frau Menasse) sehr dankbar, mir etwas an die Hand gegeben zu haben. Ich will gar nicht prüfen, ob’s seine Richtigkeit hat mit dem Zitat. Es hängt Autorität daran und ich lasse es so stehen. Überhaupt kann ich hier tun, was und wie ich es möchte. Und wenn mir meine Zeit zu kostbar ist, will ich mich nicht damit aufhalten.
Wir dürfen hier ganz frei und persönlich von Literatur erzählen, und sollten das nicht tun, um Verlag, Autor oder Publikum zu gefallen, achten aber andererseits sehr darauf.

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Zum „Schellenmann“, und ich akzeptiere, dass mein Versuch, in aller Kürze Brauchbares über seinen Inhalt anzugeben, nicht allein als widersprüchlich zum Vorangegangenen aufgenommen werden kann, sondern grundsätzlich nichts taugt. Doch irgendwo ist anzufangen, ich tue es mit dem Ende:

‚Okay‘, sagt Jakob zu sich selbst und steigt endlich aus.

Bis dahin hat sich der Heranwachsende Jakob durch einen nicht endenden Sommer geschleppt, in einer Fabrik gearbeitet, von der man nicht weiß, was sie herstellt, sich an erwachsene Vorbilder gehängt, von denen im Grunde auch nichts zu lernen war, während um ihn herum die Eichhörnchen von den Bäumen fielen und die Kühe verendeten.
Ich bin mir sicher, dass nichts weiter passiert. Dass Jakob dort bleibt. Dass die Pläne nicht fruchten. Dass kein Schritt aus diesem Tal heraus getan wird, es sei denn, als Tourist.
Dieses Buch erzählt vom Nicht-Passieren, bis die Welt zusammenfällt. Es hat mich an das jüngst gelesene Buch von Karoline Menge, „Warten auf Schnee“  erinnert, wie Sommer- zu Winterstück. Auch hier ist die Welt woanders, hinter dem Wald. Und hier im Warten, hier besteht die Gefahr, dass alles ohne Weiteres endet. Die beiden Debüts von Böhm und Menge ähneln sich in ihrer düsteren Stimmung, in ihrer Aussichtlosigkeit.

Beides jedenfalls beeindruckende Erstlingswerke.

Böhms „Schellenmann“ vermittelt Unbehagen, sowie der Schellenmann im Roman Jakob Angst bereitet, wann immer er unvermittelt auftaucht. Diese Larve, das Fremde im Karnevalskostüm, mag die Angst vor dem Fremden selbst sein, die es erst zu überwinden gilt, um heraustreten zu können.

Vielleicht hätte sich ein Leser ein Ende gewünscht, an dem Jakob weiß, was er tut und wo es hin soll und er den entscheidenden Schritt macht, damit der Leser nicht in seiner Ratlosigkeit allein gelassen wird.

So leicht soll es ein Buch einem Leser aber nicht machen müssen. Das Beste, was ein Buch einem bescheren kann, ist Unruhe, nicht Weisheit. Und Böhms Buch schafft’s: es beunruhigt.

Philipp Böhm, Schellenmann (Verbrecher-Verlag)

Buchpreisreality, alptraumhaft.

(Das Setting, Hauptstadtstudio oder Vorstadtstudio Köln Süd der Mediengruppe sowieso, oder doch nur das Träumchen eines unbekannten Bloggers während seines Nachmittagsschläfchens nach einer nicht unerheblichen Mahlzeit um halb Zwölf, mit wahrscheinlich ein paar, vorwiegend festkochenden, Kartoffeln, im Netto das Kilo für 1,49€, zu viel. Es könnte aber auch lediglich ein Radio- oder Zeitungsinterview gewesen sein. Jedenfalls war ein Scheinwerfer kaputt, wahrscheinlich sogar zwei, und alle Beteiligten hatten stilles Wasser. Und fast am Ende der Sendung des Traums oder des Artikels oder irgendwo dazwischen dies … und es fühlte sich, solange es dauerte, real an.)

Gastgeber (in Folge abgekürzt GG, da ich davon ausgehe, es war ein Mann, weil mir nicht unähnlich, sonst hätte es auch eine Frau sein können, also abgekürzt GGin, aber es war ein Mann, spare ich mir also Buchstaben und wir kommen schneller voran): Da Sie anonym bleiben wollen, würde ich Sie Günther nennen. Ist das OK für Sie, Günther?

Günther (in Folge G abgekürzt, falls X, also Nicht-G sich wird einverstanden erklären mit dem Vorschlag von GG, wenn nicht dann mit entsprechender anderer Abkürzung oder die Stelle bleibt leer und jeder denkt sich seinen Teil, ihr seid ja nicht doof. Im Moment aber ist die Frage ja noch offen und so -eigenmächtig- soll er „Günther“ heißen, wofür sich nachträglich zu entschuldigen wäre, sollte Nicht-G so nicht genannt werden wollen, wegen irgendwelcher traumatischen Erlebnisse mit einem Günther oder so, denn, wer möchte das schon. Und dieser „Günther“ nun für sich): …ich weiß, ich habe noch was zu sagen, ich weiß , ich habe noch was zu sagen, ich weiß, ich……

GG: Günther, ist das OK für Sie?

(also vorbehaltlich, immer noch für sich): …ich habe eine Bedeutung, sicherlich, für irgendjemand, für einen Einzelnen, immer wieder, das weiß ich…..ja…dem habe ich noch was zu sagen, dem bestimmt…das kann doch nicht anders sein…..

GG: Günther? Haben Sie meine Frage verstanden? Hören Sie mich?

(für sich (Anm.: wusstet Ihr, dass bei keinem anderen Autor so viel für sich gesprochen wird, als bei Shakespeare, nämlich genau 217-mal, ich hab nachgeschaut. Schiller kommt nur auf 141-mal, Brecht auf 65-mal. Ob das irgendwas erklärt, weiß ich nicht, aber ich dachte, vielleicht kann ich bei Euch punkten mit solchem Spezialwissen. Und das wäre ein ehrbarer Grund)): …er und ich…er durch mich…er…

GG (natürlich lauter bzw. fettergedruckt und großgeschrieben): GÜNTHER!!!!

G: Was? Wie? Wie spät ist es?

GG: Ich wollte von Ihnen, ich meine, ob…ach, das steht oben, direkt nach der Einleitung, meine erste Frage.

(nachdem er kurz oben, direkt nach der Einleitung, die erste Frage gelesen hat, etwas benommen und verschreckt, er ist so eine laute Anrede nicht mehr gewohnt): Sssie dürfen.

GG: Gut. Also. Günther. Erzählen Sie mal. Warum sind Sie heute hier? Was ist Ihre Geschichte?

G: ich war, das ist schon so lange her, also ich stand, fast zwei Wochen lang, oder lassen Sie es drei Wochen gewesen sein, ich stand, zwei oder drei Wochen, letzten Herbst, ich war noch ganz neu, hatte in solchen Dingen ja keinerlei Erfahrung, so frisch gedruckt, wie ich war, damals, ich kam dazu völlig unerwartet und stand also plötzlich auf dieser longlist für diesen Buchpreis, ich weiß gar nicht mehr für welchen, aber ich glaube mich zu erinnern, er war bedeutend. Und ich stand da unter all den anderen, teilweise auch noch recht neue, nicht aber alle, manche schon vier oder sogar fünf Monate alt, die taten zwar erfahren, waren aber ebenso nervös, wie wir Frischlinge. Mir flatterten ganz schön die Seiten, kann ich Ihnen sagen.

GG: Dann standen Sie also im Rampenlicht.

G: Sagt man wohl so. Dann ging’s los. Ich wurde verteilt. Ich wurde besprochen. Nicht immer nette Worte waren das. Doch waren da auch sehr lobende Wort, überschwängliche Worte, ‚Was für ein feiner Text, Du Du Du. So neu und schon so viel kannst Du. Du Du Du“. Was eben so gesagt wird, dass man sich gut fühlt. Und ich habe mich gut gefühlt. Sehr gut sogar. Jeder würde sich da gut fühlen, oder?

GG: Ja, sicherlich. Wie ging es weiter.

G: Wie es eben weitergeht bei einer Neuerscheinung, die keinerlei Erfahrung hat, wie der Buchmarkt so läuft. Woher auch? Es stieg mir zu Kopf. Wenn Sie ein Buch wären und jeder würde Sie „Meisterwerk“ nennen, und „epochal“, von „das Buch dieser Generation“ reden, da würden Sie auch glauben, die Sonne scheint Ihnen….ich konnte nicht damit umgehen. Dabei hätten mir die negativen Urteile zu denken geben sollen. Da war zum Beispiel dieser Blogger, Herr Hund, für mich damals ein Herr Sauhund, der meinte, ich wäre ganz nett, aber für diesen Buchpreis…ich habe das nicht ernstgenommen, ich meine, das war nur ein Blogger, und nicht der wichtigste. Ich habe also lieber auf die anderen gehört. Ich dachte, ich wäre wirklich so toll. Ich dachte, ich gewinne ganz klar. Da hatte ich gar keine Zweifel.

GG: Und?

G: Ich verlor natürlich, kam nicht mal auf die shortlist, fiel durch bei der Jury.

GG: Das muss ein harter Schlag für Sie gewesen sein.

G: War es auch. Ist es noch. Ich kam nicht auf die shortlist, ich war nicht mehr wichtig. Es gab zwar noch ein paar Vereinzelte, die Tage nach der Wahl, die sagten, der hätte unbedingt raufgemusst, aus bekannten Gründen. Die hatten vorher schon auf mich getippt, ich wurde oft genannt. Aber es wurde dann stiller. Ich geriet ganz langsam in Vergessenheit. Auf einigen wenigen persönlichen Listen tauchte ich noch auf, war noch hier und da das aktuelle Lieblingsbuch, aber ganz schnell gab es neue Listen und neue Lieblingsbücher. Ich war durch-gelesen.

GG: Das muss nicht einfach für Sie gewesen sein.

G: Sicherlich nicht. Eben noch so wichtig, kurz davor, ganz wichtig zu sein, dann Staubfänger.

GG: Aber das ist es noch nicht?

G: Nein. ich konnte, wie gesagt, mit dem Ruhm, schlecht umgehen, mit seinem Verlust aber noch weniger. Einerseits schielte ich darauf, als Prachtausgabe wieder auf mich aufmerksam zu machen, reich illustriert und nicht ganz billig. Dafür fand sich kein Verlag. Dann erwog ich, verfilmt zu werden. Ich hatte gehört, dass ein Tarantino Alt-Stars wieder zu neuem Ruhm verholfen hatte. So ein Angebot kam aber nicht. Letztlich ließ ich mich als billige Paperback-Ausgabe im Supermarkt verramschen und landete so im Einkaufswagen neben Spülmittel und Kartoffeln, vorwiegend festkochend. Am Ende war ich vergriffen und wurde nicht wieder aufgelegt.

GG: Das ist hart.

G: Das ist nicht das Schlimmste, nicht der Tiefpunkt.

GG: Ach nein.

G: Nein. Das Schlimmste ist, dass mir bewusst wurde, der Ruhm ist nicht das Wichtigste, dass viele einen lesen. dass man es auf die wichtigste Liste, die Bestsellerliste schafft, dass man einen schönen Aufkleber bekommt. Dass Wichtigste hatte ich ganz aus den Augen verloren, bei dem ganzen Rummel.

GG: Und das wäre?

G: Das weiß ich nicht. Ich bin nur ein Buch. Sagen Sie es mir.

Anonym

(Und an dieser Stelle bin ich aufgewacht. Der restliche Nachmittag war furchtbar. Doch ich erholte mich davon und am Abend las ich noch in einem Buch. Es steht auf einer shortlist. Es ist mir egal. Hoffe ich.)

 

 

 

 

Bäuche, Schenkel und weit dahinter erst der Horizont

Zitate sind gemein. Kommen zu spät. Hätte ich vorher wissen sollen. Was man von Literatur lernen kann für das vergangene Leben? Möglichkeiten, bedauerliche, die man versäumt hat. Ich habe die Hoffnung, das Leben wiederholt sich und ich bekomme die Gelegenheit einmal mehr, da ich’s nun weiß:

Ich kann zwar nicht tanzen, aber am Strand kann jeder tanzen, dachte ich.

aus: EmrahSerbes – Fragmente, binooki

Junger Mann, tolles Buch, vorbildhafte Blogeinträge. Werde es öfter nun bei mir tragen, und rechtzeitig dann, warte, warte, ich blättere noch, zu wissen, was an dieser Stelle zu tun ist. Und habe die Hoffnung, etwa dann am Strand, doch noch zu tanzen.

Stattdessen mich im Strandkorb ausgesetzt, literarisch auf dem Weg zum Anus, vor mir beim Abstreifen der nassen Bademoden, das große Badetuch verdeckt nicht alles, gelegentliche und leibhaftige Ani. Ich schaue irgendwohin, erst nach oben. Der Himmel außer mir ohne Wolken, blau, ein strahlend heller Spätsommertag, dann ich aber wieder unterwegs in UnSchwärze: Ymir.

Die Welt ein riesenhafter Körper, vor mir, um mich, mehr als einer, wie gesagt, an mir selbst sogar – Körper. An Stränden laufen und liegen Bäuche frei herum. Es ist ihr natürlicher Lebensraum. Am Strand lässt man seinen Bauch von der Leine. An ihm brechen sich die Wellen der  Brandung, wenn er auf Schenkeln, um sich zu kühlen, ins Wasser sich trägt.

Das Körperliche begrenzt meine Lektüre.

Ymir, ironisch gebrochener Abenteuerroman, ein kleiner feiner Band, enthält, nebst dem einen nordischen Riesenkörper, der durchwandert wird, Körperliches in nuce: Kotze, Urin, andere Realitäten und Bedrängnisse. Und dabei Wagner im Gepäck, die holde Musik. Doch wie schön, ich muss nichts besprechen. Es fanden sich davon bereits mehr als Brauchbares, hier und hier etwa. Bereitwillig und nicht ohne Lust, und das erschreckt mich, folge ich also, brav wie ein Goonie, einem Nazi in die mystischen Eingeweide. Literatur, wenn so gekonnt, ist Verführung. Und Phantasie kennt kein Halten, bis in die Dunkelheit hinein, bergab, ohne nennenswertes Ergebnis, nicht hinauf, wo sich Phantasie so gerne sieht. Nicht also Peterchens Mondfahrt, sondern Nazi-Expedition, dass Groß-Heinrich später berichtet werden kann. Eigentlich scheußlich, dass man dabei bleibt.

Was mir auf Usedom so passiert?

Ich schrecke auf. Mich rettet die nächste Lektüre. Ganz was anderes, ein Sachbuch. Auf Island waren’s Erscheinungen, so wahr, wie es unter den Umständen sein kann und eben bei Erscheinungen so läuft.

Und Erscheinungen, ein ganzes Panoptikum, finde ich „Im Restaurant“ auch. Es beeindruckt die Montagetechnik. Aus vielen Einzelgeschichten stellt sich ein komplettes Panorama dar. Das ist schon sehr gut gemacht, nicht bloße Anekdotensammlung, sondern tiefe Einblicke in Gastraum und die bislang ungesehenen Räume dahinter. Schmackhafte Lektüre, während ich mir zwischendurch mit Backfischbrötchen den Hunger von der Seele futtere. Buden am Strand tauchen in dem Buch nicht auf, vieles Andere schon. Für nur ein Sachbuch im laufenden Jahr keine schlechte Ausbeute, wenngleich es Fragen nach sich zieht, warum nur eines.

Zum dicken Bauch am Strand gehört der dicke Schmöker. Der war natürlich dabei. Und da’s mich kaum in die quallendurchsetzte Ostsee drängt, komme ich gut voran. Das Dicke macht es mir leicht.

Aber drei Tage sind kurz, ich habe es nicht geschafft, die Lektüre besenrein hinter mir zu lassen. Ich nehme New Orleans unaufgeräumt mit nach Hause. Es beschäftigt mich noch sehr gelungen.

Wenn nicht gänzlich erholt, so war meine Rückkehr wenigstens heile. Es hätte anders ausgehen können. Mancher hatte sicherlich schon diesen Traum, von wilden Tieren gefressen zu werden. Das geht nie ganz ohne Lust ab. Meistens sind’s dann jedoch, Eisbär, Hai, Löwe oder Tischer, von dem man träumt. Ich wäre beinahe, ein Riesenbrötchen, von Möwen verspeist worden. Die „Fütterung“ war nicht ohne Lust. Warum hätte ich sonst wohl gelacht dabei? Das ist passiert, sonst nicht viel. war gut so. Denn sonst, und damit wären wir wieder beim Anus, dass irgendwann und irgendwo über tiefer See, mich die Möwe erst wieder befreit hätte. Und ob sie’s bis zum Horizont geschafft hätte, bis sie sich hätte von mir entleeren müssen. Ich bezweifle das.

Und nun bin ich wieder hier, eine anberaumte Literaturfehde steckt noch in den Kinderschuhen und muss durchgeführt werden. Energie wäre da.

Ich kehre aber in Gedanken nochmal (sicherlich noch öfter) zu Serbes zurück. In der Türkei gibt es IKEA auch. Das tröstet mich irgendwie. Denn wenn die Welt verrückt spielt und kurz davor scheint, auseinanderzufliegen, so ist IKEA ein Tempel der Hoffnung. Denn wo sonst wird einem gezeigt, dass alles und von jedem mit wenigen Handgriffen zusammengebaut werden kann. Die Welt wäre perfekt, wäre sie IKEA.

Ob es auf Usedom einen IKEA gibt, werde ich bei meinem nächsten Besuch überprüfen.

 

Mir fremd…

Die Unzugänglichkeit, die in mir liegt. Manchmal sehe ich mich nicht in der Lage, zu verstehen, dass ich sagen könnte, es ist gut oder es ist schlecht. Dann bin ich kalt und fremd. Dann gehe ich etwa aus einem Buch heraus und es ist bereits vergangen. Dann sind da keine weiteren neuen Fragen, die so wichtig sein sollen. Und ich bin vor allen Dingen kein Anderer; es hat mich -Großes Wort- nicht verändert.

Wenn einem Literatur die (unveränderliche) Fremde vor Augen führen kann, dann auch die eigene. Mir egal, was geht es mich an, Leere und Gleichgültigkeit, die blinde Stelle, der weiße Fleck, das Vakuum.

Es kann doch nicht sein, darf nicht sein, dass einem die Worte fehlen. Es gibt Bücher, man liest sie, sie berühren einen, man ist keine Minute gelangweilt, kleinlich wäre es, die paar wenigen schwachen Stellen zu erwähnen, und kaum klappt man es zu, kurz, nachdem man noch mit dem Helden mitgefiebert hat, da ist’s nur noch ein Rauschen.

Ja, da wären Schlagworte, an die man sich halten könnte und ich könnte jetzt schwadronieren über den Autoren, über Lebensumstände, historische oder politische Hintergründe und vielleicht ziemlich überzeugend sogar das Werk an seine Stelle setzen: es verlinken und dann hat es seinen Platz, findet seinen Leser, der mehr für sich wird damit anfangen können, als ich selbst.

Es hat schon stärkere Bücher gegeben als dieses und ich habe sie trotzdem alle vergessen. Irgendwie nicht will ich nur Bücher lesen, um darüber sprechen zu können. Irgendwie erwarte ich -das ist mein persönlicher Wunsch- von einem Buch auch Zaubersprüche. Und ich lese sie mir vor und öffne mich; es verändert sich etwas. Es ist mein Bedürfnis um die Tilgung dieser weißen Flecken in mir – Selbsterkenntnis.

Und nicht nur, dass ich mit Wissen nun daherstolzieren kann, als verstünde ich damit mehr.

Ein Buch wie dieses hat den Wert, sich der eigenen Sprachlosigkeit bewusst zu werden, wenn es sicherlich dessen Intention nicht gewesen sein kann; es ergab sich nur aus meiner Lektüre. Dass nichts zu sagen ist außer Gerede, ist nicht immer dem Buch anzulasten.

Die Lektüre eines anderen ist wahrscheinlich eine treffendere, verständnisvollere, eine objektive.

Ich bin derjenige nicht. Irgendwann? Vielleicht. Warum sollte es nicht so sein, dass man sich ein zweites Mal begegnet, dann weniger fremd einander.

Das Buch: Rodrigo Rey Rosa – Die Gehörlosen (Septime-Verlag)

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Ein möglicher Ort

Das erscheint jetzt nur trübsinnig.

Man sagt, aus dem Gedächtnis, ich zitiere aus dem Gedächtnis. Da fehlt dann vielleicht ein Wort oder wird vertauscht. Vielleicht wurde das alles nicht so gesagt. Vielleicht ist da nur Gedächtnis und es war da nichts.

Aus der Erinnerung Vergangenes hervorholen. Telefonnummern, an die man sich erinnert, sind leicht zu überprüfen und am anderen Ende keine Stille vielleicht. Viel leichter als Geschichten. Stimmen die noch. waren die so? Oder sind es immer nur Geschichten, die nie waren und immer nur sind, jedes Mal.

In Geschichten aus dem Leben verschwinden. Bewahren.

Man steigt nie aus dem Fluss, wie man hineingestiegen ist. Man sieht selbst nie den Fluss. Man spürt die Strömung, fühlt die Nässe, friert. Aber man sieht nie den Fluss, den ganzen Fluss. Doch soll es ihn geben.

Ein kleiner Blick, ein kurzes Stück vom Fluss, Geschichten bannen ihn
– für Momente.
Geschichtenerzähler schöpfen den Fluss mit bloßen Händen
– niemals aus.

Er beruhigt sich in Geschichten. Dann klappe ich das Buch zu, diese Geschichte ist erzählt, er reißt mich fort. Und ich werde vielleicht dieser Geschichte nicht mehr wieder begegnen.

Auch sie wird, wenn, dann eine andere sein, weil ich es sein werde.

Stephan Kaluza hat einmal den Rhein fotografiert, alle paar Meter ein Bild, er hat die Bilder zusammengesetzt. Was in der Zeit nie zu sehen ist und deshalb nicht zu beweisen, in einem Bild. Er existiert als Montage.

Das Leben ist Ein möglicher Ort.

Sie wissen schon, das Leben ist ein Konstrukt, die Literatur ist es auch, nur Narren sprechen von Unterschieden.

Stephan Kaluza hat ein beunruhigendes Buch geschrieben. Ein Bildermensch, der darin nach der Idylle sucht, um -fast- darin umzukommen. Er lernt Julie kennen. Sie beobachtet sehr genau und kann so auch nicht leben.

Das Leben ist nur irgendwo zwischen Auslassung und Hingabe zu leben.

Vielleicht.

EinmöglicherOrt