(Das Setting, Hauptstadtstudio oder Vorstadtstudio Köln Süd der Mediengruppe sowieso, oder doch nur das Träumchen eines unbekannten Bloggers während seines Nachmittagsschläfchens nach einer nicht unerheblichen Mahlzeit um halb Zwölf, mit wahrscheinlich ein paar, vorwiegend festkochenden, Kartoffeln, im Netto das Kilo für 1,49€, zu viel. Es könnte aber auch lediglich ein Radio- oder Zeitungsinterview gewesen sein. Jedenfalls war ein Scheinwerfer kaputt, wahrscheinlich sogar zwei, und alle Beteiligten hatten stilles Wasser. Und fast am Ende der Sendung des Traums oder des Artikels oder irgendwo dazwischen dies … und es fühlte sich, solange es dauerte, real an.)
Gastgeber (in Folge abgekürzt GG, da ich davon ausgehe, es war ein Mann, weil mir nicht unähnlich, sonst hätte es auch eine Frau sein können, also abgekürzt GGin, aber es war ein Mann, spare ich mir also Buchstaben und wir kommen schneller voran): Da Sie anonym bleiben wollen, würde ich Sie Günther nennen. Ist das OK für Sie, Günther?
Günther (in Folge G abgekürzt, falls X, also Nicht-G sich wird einverstanden erklären mit dem Vorschlag von GG, wenn nicht dann mit entsprechender anderer Abkürzung oder die Stelle bleibt leer und jeder denkt sich seinen Teil, ihr seid ja nicht doof. Im Moment aber ist die Frage ja noch offen und so -eigenmächtig- soll er „Günther“ heißen, wofür sich nachträglich zu entschuldigen wäre, sollte Nicht-G so nicht genannt werden wollen, wegen irgendwelcher traumatischen Erlebnisse mit einem Günther oder so, denn, wer möchte das schon. Und dieser „Günther“ nun für sich): …ich weiß, ich habe noch was zu sagen, ich weiß , ich habe noch was zu sagen, ich weiß, ich……
GG: Günther, ist das OK für Sie?
G (also vorbehaltlich, immer noch für sich): …ich habe eine Bedeutung, sicherlich, für irgendjemand, für einen Einzelnen, immer wieder, das weiß ich…..ja…dem habe ich noch was zu sagen, dem bestimmt…das kann doch nicht anders sein…..
GG: Günther? Haben Sie meine Frage verstanden? Hören Sie mich?
G (für sich (Anm.: wusstet Ihr, dass bei keinem anderen Autor so viel für sich gesprochen wird, als bei Shakespeare, nämlich genau 217-mal, ich hab nachgeschaut. Schiller kommt nur auf 141-mal, Brecht auf 65-mal. Ob das irgendwas erklärt, weiß ich nicht, aber ich dachte, vielleicht kann ich bei Euch punkten mit solchem Spezialwissen. Und das wäre ein ehrbarer Grund)): …er und ich…er durch mich…er…
GG (natürlich lauter bzw. fettergedruckt und großgeschrieben): GÜNTHER!!!!
G: Was? Wie? Wie spät ist es?
GG: Ich wollte von Ihnen, ich meine, ob…ach, das steht oben, direkt nach der Einleitung, meine erste Frage.
G (nachdem er kurz oben, direkt nach der Einleitung, die erste Frage gelesen hat, etwas benommen und verschreckt, er ist so eine laute Anrede nicht mehr gewohnt): Sssie dürfen.
GG: Gut. Also. Günther. Erzählen Sie mal. Warum sind Sie heute hier? Was ist Ihre Geschichte?
G: ich war, das ist schon so lange her, also ich stand, fast zwei Wochen lang, oder lassen Sie es drei Wochen gewesen sein, ich stand, zwei oder drei Wochen, letzten Herbst, ich war noch ganz neu, hatte in solchen Dingen ja keinerlei Erfahrung, so frisch gedruckt, wie ich war, damals, ich kam dazu völlig unerwartet und stand also plötzlich auf dieser longlist für diesen Buchpreis, ich weiß gar nicht mehr für welchen, aber ich glaube mich zu erinnern, er war bedeutend. Und ich stand da unter all den anderen, teilweise auch noch recht neue, nicht aber alle, manche schon vier oder sogar fünf Monate alt, die taten zwar erfahren, waren aber ebenso nervös, wie wir Frischlinge. Mir flatterten ganz schön die Seiten, kann ich Ihnen sagen.
GG: Dann standen Sie also im Rampenlicht.
G: Sagt man wohl so. Dann ging’s los. Ich wurde verteilt. Ich wurde besprochen. Nicht immer nette Worte waren das. Doch waren da auch sehr lobende Wort, überschwängliche Worte, ‚Was für ein feiner Text, Du Du Du. So neu und schon so viel kannst Du. Du Du Du“. Was eben so gesagt wird, dass man sich gut fühlt. Und ich habe mich gut gefühlt. Sehr gut sogar. Jeder würde sich da gut fühlen, oder?
GG: Ja, sicherlich. Wie ging es weiter.
G: Wie es eben weitergeht bei einer Neuerscheinung, die keinerlei Erfahrung hat, wie der Buchmarkt so läuft. Woher auch? Es stieg mir zu Kopf. Wenn Sie ein Buch wären und jeder würde Sie „Meisterwerk“ nennen, und „epochal“, von „das Buch dieser Generation“ reden, da würden Sie auch glauben, die Sonne scheint Ihnen….ich konnte nicht damit umgehen. Dabei hätten mir die negativen Urteile zu denken geben sollen. Da war zum Beispiel dieser Blogger, Herr Hund, für mich damals ein Herr Sauhund, der meinte, ich wäre ganz nett, aber für diesen Buchpreis…ich habe das nicht ernstgenommen, ich meine, das war nur ein Blogger, und nicht der wichtigste. Ich habe also lieber auf die anderen gehört. Ich dachte, ich wäre wirklich so toll. Ich dachte, ich gewinne ganz klar. Da hatte ich gar keine Zweifel.
GG: Und?
G: Ich verlor natürlich, kam nicht mal auf die shortlist, fiel durch bei der Jury.
GG: Das muss ein harter Schlag für Sie gewesen sein.
G: War es auch. Ist es noch. Ich kam nicht auf die shortlist, ich war nicht mehr wichtig. Es gab zwar noch ein paar Vereinzelte, die Tage nach der Wahl, die sagten, der hätte unbedingt raufgemusst, aus bekannten Gründen. Die hatten vorher schon auf mich getippt, ich wurde oft genannt. Aber es wurde dann stiller. Ich geriet ganz langsam in Vergessenheit. Auf einigen wenigen persönlichen Listen tauchte ich noch auf, war noch hier und da das aktuelle Lieblingsbuch, aber ganz schnell gab es neue Listen und neue Lieblingsbücher. Ich war durch-gelesen.
GG: Das muss nicht einfach für Sie gewesen sein.
G: Sicherlich nicht. Eben noch so wichtig, kurz davor, ganz wichtig zu sein, dann Staubfänger.
GG: Aber das ist es noch nicht?
G: Nein. ich konnte, wie gesagt, mit dem Ruhm, schlecht umgehen, mit seinem Verlust aber noch weniger. Einerseits schielte ich darauf, als Prachtausgabe wieder auf mich aufmerksam zu machen, reich illustriert und nicht ganz billig. Dafür fand sich kein Verlag. Dann erwog ich, verfilmt zu werden. Ich hatte gehört, dass ein Tarantino Alt-Stars wieder zu neuem Ruhm verholfen hatte. So ein Angebot kam aber nicht. Letztlich ließ ich mich als billige Paperback-Ausgabe im Supermarkt verramschen und landete so im Einkaufswagen neben Spülmittel und Kartoffeln, vorwiegend festkochend. Am Ende war ich vergriffen und wurde nicht wieder aufgelegt.
GG: Das ist hart.
G: Das ist nicht das Schlimmste, nicht der Tiefpunkt.
GG: Ach nein.
G: Nein. Das Schlimmste ist, dass mir bewusst wurde, der Ruhm ist nicht das Wichtigste, dass viele einen lesen. dass man es auf die wichtigste Liste, die Bestsellerliste schafft, dass man einen schönen Aufkleber bekommt. Dass Wichtigste hatte ich ganz aus den Augen verloren, bei dem ganzen Rummel.
GG: Und das wäre?
G: Das weiß ich nicht. Ich bin nur ein Buch. Sagen Sie es mir.
(Und an dieser Stelle bin ich aufgewacht. Der restliche Nachmittag war furchtbar. Doch ich erholte mich davon und am Abend las ich noch in einem Buch. Es steht auf einer shortlist. Es ist mir egal. Hoffe ich.)